Kritik an Merkels Kurs:Ende der Gefühligkeit

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Angela Merkel hat Ärger - in der Koalition und in ihrer eigenen Partei. Der Rentenstreit mit CDU-Vize Jürgen Rüttgers legt offen, wie unklar der Kurs der Kanzlerin ist.

Stefan Braun

Ob Angela Merkel gerne segelt, ist nicht bekannt. Sehr wohl erkennbar aber ist, dass die Kanzlerin seit zweieinhalb Jahren ziemlich clever durch die wechselnden Winde der großen Koalition gekreuzt ist.

Mehr noch: Die CDU-Vorsitzende hat es geschafft, so manchen widrigen Wind geschickt für sich zu nutzen. Merkel, die Klimaretterin; Merkel, die Afrikahelferin; Merkel, die Kanzlerin der Konsolidierung; Merkel, die sozial Einfühlsame. All das hat sie bisher wenig gekostet, aber ihr Ansehen befördert.

Ihre CDU liegt in den Umfragen weit über den Werten der Konkurrenz, zumeist an der 40-Prozent-Marke. Merkels persönliches Ansehen ist so hoch, dass man geneigt ist, ihren Sieg bei der nächsten Wahl für ausgemacht zu halten.

Nichts freilich wäre voreiliger. Denn die Zeiten für Merkel sind vor allem eins - sie sind schön gewesen. Es droht ihr heftiger Ärger in der Koalition. Immerhin hat sie in der Entwicklungshilfe und beim Ausbau der Forschung Versprechungen gemacht, die sie in den aktuellen Haushaltsverhandlungen kaum erfüllen kann, ohne die Konsolidierung des Etats zu gefährden.

Rüttgers und Wulff legen gefährliche Probleme offen

Andererseits wird ihre Macht in der Partei herausgefordert. Die von Jürgen Rüttgers losgetretene Rentendebatte und die von Christian Wulff vorgetragene Attacke auf Merkels Alleinvertretungsanspruch in der CDU legen gefährliche Probleme offen. Die Kanzlerin, die sich seit dem Beinah-Debakel 2005 mehr an Stimmungen orientiert als an klaren Zielen, hat in der Partei Lücken gelassen, die andere schließen möchten. Mit ihrem Ja zu der außerplanmäßigen Rentenerhöhung hat sie zu weiteren Wünschen geradezu eingeladen.

Besonders heikel ist der Rüttgers-Vorschlag, die Rente bei Geringverdienern an die Dauer der Einzahlung zu koppeln. Obwohl der Vorschlag von Generalsekretär Pofalla und Fraktionschef Kauder schnell und heftig abgelehnt wurde, erinnert viel an Rüttgers ersten Coup, als er eine Verlängerung der Auszahlung beim Arbeitslosengeld I durchsetzte - erst in der Partei, dann in der Regierung.

Rüttgers zieht Merkels Autorität in Zweifel

Dass Rüttgers dies zu wiederholen versucht, ist eine Provokation. Er zieht Merkels Autorität in der Partei in Zweifel und er stellt die Frage nach ihrer Verlässlichkeit in der Koalition. Außerdem nutzt er gnadenlos aus, dass sie selbst ihm dafür die Tür öffnete. Mit der jüngsten Rentenentscheidung hat die Koalition den Menschen das Thema erst ins Bewusstsein gerufen. Gemeinsam mit Rüttgers hat sie den Geist aus der Flasche gelassen.

Merkel hat lange davon gelebt, dass ihr die CDU ohne Gemurre folgte. Kritiker neutralisierten sich - oder waren mit sich selbst beschäftigt. Das aber kann schnell vorbei sein. Merkel hat die CDU zu einem Wahlverein gemacht, ohne ihre Dominanz für eine klare Ausrichtung zu nutzen. Ihr einziges Credo lautet: Nicht noch einmal sozial kalt erscheinen. Das rächt sich. Kein Wunder, dass Rüttgers sie testet und Wulff sie piesackt. Angela Merkel muss sich zu einem klaren Kurs bekennen. Die See ist rauer geworden.

© SZ vom 23.04.2008/dmo/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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