Kritik an BND-Methoden:"Überwachung war ganz überwiegend rechtswidrig"

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Der Bundestag hat den umstrittenen Spitzelbericht des Bundesnachrichtendienstes veröffentlicht. Die Vorwürfe wiegen schwer, die Bundesregierung hat bereits disziplinarische Maßnahmen gegen Verantwortliche angekündigt.

Der 179 Seiten starke Bericht erscheint gleichzeitig mit der Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Dossier, das der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer für das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) erstellt hatte. Die Veröffentlichung über Internet am Freitag war bereits für Mittag erwartet worden.

Der Eingang zur BND-Zentrale in Pullach bei München. (Foto: Foto: AP)

Die Überwachung durch den BND sei "ganz überwiegend rechtswidrig" gewesen, stellte der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer in seinem Gutachten fest.

Auch seien Journalisten als Spitzel mit dem Ziel geführt worden, "Informationen, Informanten und redaktionelle Hintergründe auszuforschen". Dabei sei in die Medienfreiheit und Rechte Dritter eingegriffen worden. Auch dies sei in manchen Fällen rechtswidrig gewesen, auch wenn dies nicht von vornherein unzulässig sei. Die Informationen hätten sich stets auf andere Journalisten und Medienorgane bezogen, nicht die eigene Redaktion. Aufsichtsmängel ließen sich nur teils feststellen. Schäfer machte auch Empfehlung für notwendige Konsequenzen.

Disziplinarische Maßnahmen gegen Hauptverantwortliche

Die Bundesregierung hält disziplinarische Maßnahmen gegen die Hauptverantwortlichen der Spitzelaffäre des Bundesnachrichtendienstes (BND) für erforderlich. Sie hat die teils massive Kritik des Sonderermittlers Gerhard Schäfer an den BND-Methoden gegen Journalisten nachhaltig unterstützt.

In einer Reaktion zu dem Bericht Schäfers heißt es unter anderem, dessen rechtliche Bewertungen der Bespitzelungen von Journalisten würden geteilt. Soweit es zu "rechtswidrigen Eingriffen in die Pressefreiheit" und die Individualsphäre von Personen und besonders Journalisten gekommen sei, werde "der BND sich formell bei den Betroffenen entschuldigen".

Die von Schäfer beanstandeten Operationen seien "ganz überwiegend nicht" oder "nicht in der vorgeschriebenen Weise und vor allem nicht problemadäquat" dem BND-Präsidenten vorgelegt worden. Die abgeschottete Arbeit einer Observierungsgruppe offenbare "Methoden und Denkweisen" aus der Zeit des Kalten Krieges.

Betroffen von möglichen Disziplinarmaßnahmen sind mehrere aktive und ehemalige Mitarbeiter des Geheimdienstes. Dazu wird ein Sonderermittler eingesetzt. Ferner verweist die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme auf bereits eingeleitete Strukturveränderungen beim BND.

Uhrlau entschuldigt sich

BND-Präsident Ernst Uhrlau bat in einer Erklärung um Entschuldigung. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) plädierte im Umgang mit den BND-Verfehlungen für Gelassenheit: "Man sollte die Kirche im Dorf lassen", sagte er in der ARD. Der BND habe Fehler gemacht, die jedoch überwiegend weit zurück lägen.

Die drei Oppositionsparteien im Bundestag verlangen weitere parlamentarische Aufklärung. Ihrer Einschätzung nach klärt der Bericht nicht alle Hintergründe und die politische Verantwortung. Der Grünen- Abgeordnete Hans-Christian Ströbele forderte in der Berliner Zeitung (Samstag) einen Untersuchungsausschuss. Ein solches Gremium verpflichte die Zeugen zu wahrheitsgemäßer Auskunft und könne Akten nicht nur aus dem BND anfordern.

Das Kanzleramt hat erstmals im November 2005 davon erfahren

Das Bundeskanzleramt habe von den Vorgängen erstmals Anfang November 2005 Kenntnis erhalten. Die Verwendung von Journalisten als Quellen zur Eigensicherung sei dem Bundeskanzleramt erst im Januar 2006 bekannt geworden. Nach einer internen Untersuchung im BND vom November 2005 habe die Bundesregierung noch im selben Monat angeordnet, Dienstvorschriften zu überarbeiten sowie die Prüfung disziplinarrechtlicher beziehungsweise arbeitsrechtlicher Schritte vorzunehmen.

Mit Erlass vom 15. Mai dürfe der BND zur Eigensicherung auch keine operativen Maßnahmen gegen Journalisten mehr vornehmen oder Journalisten als Informanten führen. Entsprechendes gelte für den Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst.

Die Veröffentlichung des Berichts, eigentlich für Mittag angekündigt, verzögerte sich deshalb um Stunden, weil das Sekretariat des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste die Änderungen in dem Bericht berücksichtigen musste.

Das Gutachten musste an einigen Stellen geschwärzt werden: Ein betroffener "Focus"-Journalist hatte eine einstweilige Anordnung gegen die Veröffentlichung seiner personenbezogenen Daten erreicht. Das PKG wollte dagegen vor Gericht vorgehen. Der Bericht beruht auf BND-Unterlagen und Auskünften einzelner Personen.

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