Kritik am Innenminister wächst:"Von Schäubles Denkmuster führt eine Linie nach Guantanamo"

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Der Vorstoß von Innenminister Schäuble, das Prinzip der Unschuldsvermutung bei der Terrorabwehr aufzugeben, hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Die FDP rückt ihn gar in die Nähe der US-Militärjustiz.

Der Bundesinnenminister bekommt Gegenwind aus fast allen Parteien. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter sagte der Leipziger Volkszeitung: "Ein Minister, der Hysterie verbreitet, wird selbst zum Sicherheitsrisiko."

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende, Ute Vogt, forderte die Kanzlerin dazu auf, ihrem Innenminister Einhalt zu gebieten. "Wer den Grundsatz der Unschuldsvermutung offen in Frage stellt, ist der falsche Mann, an vorderster Stelle im Staate die Verfassung zu wahren und zu schützen."

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, nannte in der Neuen Westfälischen die Äußerung Schäubles "hochgradig missverständlich".

Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, meldete sich kritisch zu Wort. Er sagte dem Hamburger Abendblatt: "Die Unschuldsvermutung hat Verfassungsrang. Ich kann mit nicht vorstellen, dass man sie aufgibt."

"Rechtsstaatlich ungeheuerlich"

Harsche Kritik erntete Schäuble auch bei der FDP. Der Obmann der Liberalen im BND-Untersuchungsausschuss, Max Stadler, sagte, von Schäubles Denkmuster führe eine direkte Linie zu den Forderungen nach Sicherheitshaft, wie sie einst sein Amtsvorgänger Otto Schily erhoben hatte, "und letztlich auch zu den amerikanischen Terrorabwehr-Methoden, die in Guantanamo gipfelten".

Unter dem Vorwand der Gefahrenabwehr sollten immer tiefere Eingriffe in die Grundrechte der Bürger vorgenommen werden, ohne "dass hierfür ausreichende Beweise oder Verdachtsmomente vorliegen". Dies sei auch die Erfahrung aus der bisherigen Beweisaufnahme im BND-Untersuchungsausschuss, sagte Stadler.

Auch der frühere FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum übte harsche Kritik an den Äußerungen - und bezeichnete Schäubles Vorstoß als "rechtsstaatlich ungeheuerlich". Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse den Innenminister zur Ordnung rufen, verlangte Baum in der Berliner Zeitung. "Ich finde es unbegreiflich, dass sie dazu schweigt."

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat Schäuble dagegen in Schutz genommen. Die derzeitige Diskussion sei "etwas aufgeheizt", so dass es "auf beiden Seiten zu Missverständnissen" komme, sagte Zypries am Donnerstag im Deutschlandfunk.

Sie wandte sich zugleich gegen Vorwürfe, Schäuble sei selbst ein Sicherheitsrisiko. Dies sei "pointiert und überspitzt in der politischen Auseinandersetzung" rübergekommen, sagte Zypries.

Fest stehe, dass die Unschuldsvermutung nur bei der Verfolgung von Straftaten gelte, nicht aber bei der Abwehr von möglichen Gefahren, sagte die SPD-Politikerin. Letzteres stimme aus rechtspolitischer Sicht.

Zypries äußerte die Hoffnung, dass bei dem geplanten Spitzengespräch zur Innen- und Sicherheitspolitik im Kanzleramt die offenen Fragen angesprochen werden und Klarheit geschaffen werde. Der Gipfel ist nach einem Zeitungsbericht bei der jüngsten Sitzung des Koalitionsausschusses auf Wunsch von Merkel und Beck verabredet worden.

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