Kritik am Auswärtigen Amt:"Terror-Verdächtige erhielten Visa für Deutschland"

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Scharfer Rüffel vom Innenministerium: Botschaften und Konsulate sollen sich wiederholt über Warnungen von Sicherheitsbehörden hinweggesetzt haben. Visum-Vergabepraxis berge "Gefahren für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland". Von Hans Leyendecker.

Innerhalb der Bundesregierung hat es auch nach Aufhebung des so genannten Volmer-Erlasses heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben, wie und wie viele Ausländer in die Bundesrepublik einreisen dürfen.

Das Bundesinnenministerium warf dem Auswärtigen Amt (AA) noch vor wenigen Monaten gravierende "Unregelmäßigkeiten in der Visum-Erteilungspraxis" vor. Dies berge "Gefahren für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland", heißt es in einem Vermerk vom 1. Oktober 2004 für Innenminister Otto Schily.

Weder konsultiere das Auswärtige Amt bei der Vergabe von Visa ausreichend die "nationalen Sicherheitsbehörden", noch seien "Art und Umfang der Prüfung von Visum-Anträgen ausreichend, kritisieren Schilys Beamte.

Warnungen von BND und BKA ignoriert

So habe ein saudischer Staatsangehöriger, "der terroristische Verbindungen zu al-Qaida haben soll", ein Visum erhalten, obwohl "sicherheitsbehördliche Bedenken" zu "einer Versagung des Visums hätten führen müssen".

In der Botschaft in Algier habe ein Mann eine Einreise-Erlaubnis bekommen, vor dem sowohl das Bundeskriminalamt als auch der Bundesnachrichtendienst ausdrücklich gewarnt hätten. Gegen den Algerier liefen in Italien Terror-Ermittlungen. Zudem sei er "auch in Deutschland bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten".

In dem Papier, das aus der für Flüchtlinge und Migration zuständigen Abteilung des Innenministeriums stammt, werden etliche "Unregelmäßigkeiten" geschildert. Ob diese "nur die Spitze des Eisbergs" seien, lasse sich "mangels umfassenden Einblicks in die Praxis" des AA nicht feststellen. Die Vorgänge ließen "jedoch auf tiefgreifende Strukturprobleme in der Aufgabenwahrnehmung" des Außenministeriums schließen.

Ausführlich gehen die Beamten auf Berichte über Schleuser-Fälle in Osteuropa und "Visum-Erschleichungen bei der deutschen Auslandsvertretung in Kiew" ein. Im Bundestag soll ein Untersuchungsausschuss seit vergangener Woche klären, ob Regierungshandeln dazu führte, dass bei der Visa-Vergabe in deutschen Botschaften Missbrauch betrieben wurde.

"Bedauerliche Einzelfälle"

Hauptstreitpunkt ist der so genannte Volmer-Erlass des Außenministeriums, mit dem Botschaften und Konsulate am 3. März 2000 angewiesen wurden, "im Zweifel für die Reisefreiheit" zu entscheiden, wenn ein Ausländer ein Visum für Deutschland begehre. Die Regelung, die vom damaligen Staatsminister im AA, Ludger Volmer, angeregt worden war, wurde vergangenes Jahr geändert.

Aus Sicht des Auswärtigen Amtes handelt es sich bei den vom Innenministerium gerügten Beispielen um "bedauerliche Einzelfälle", auf die man aber "schnell reagiert" habe. Acht Wochen nachdem das Innenministerium seine Kritik formuliert hatte, bemängelte die deutsche Botschaft in Kiew angeblich ungenügende Visa-Kontrollen durch Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS). Dieser untersteht Schily.

In einem Fernschreiben an das AA vom 3. Dezember 2004 heißt es, eine "intensivierte Prüfung" der Visa ukrainische Lkw-Fahrer habe ergeben, dass in jedem zweiten Fall der Ausreise- und in jedem vierten Fall der Einreisestempel fehle. Die Nachlässigkeit der Grenzschützer stelle "die Visa-Stelle der Botschaft vor grundsätzliche Probleme". Manche Grenzschützer sollen die Visa absichtlich nicht stempeln.

© SZ vom 29.01.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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