Kritik am Armutsbericht:Viele Ausländer übersehen

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Wissenschaftler bemängeln im Armutsbericht die Auswahl der Befragten - dadurch seien die Zahlen zu gut ausgefallen.

Felix Berth

Der Armutsbericht des Bundesarbeitsministeriums beschönigt die Lage in Deutschland. Zu diesem Urteil kommen namhafte Armutsforscher der Bundesrepublik. So verwendet der Bericht zahlreiche Daten aus einer EU-Befragung, die als wissenschaftlich sehr problematisch gilt. Dadurch sinkt die Armutsquote auf 13 Prozent, während andere Studien sie auf 18 Prozent beziffern. Die Quote der Kinder in Armut liegt nach Berechnung von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) bei 12 Prozent - eine alternative, anerkannte Statistik errechnet jedoch 26 Prozent.

Kritik am Armutsbericht: Menschen aus der Türkei, Griechenland oder Italien seien in der Studie von 2005 zu wenig berücksichtig worden. (Foto: Foto: ddp)

Der amtliche Bericht stützt sich im wesentlichen auf die Befragung "EU-Silc", die in allen europäischen Staaten seit 2005 läuft. Der Ökonom Richard Hauser, der seit Jahrzehnten Armutsforschung betreibt, listete in einem Gutachten für die Bundesregierung im November 2007 die Mängel der deutschen Daten auf. Die Befragten seien nicht zufällig ausgewählt worden, sondern hätten sich freiwillig bereiterklärt. Sie seien schriftlich und nur auf Deutsch interviewt worden, weshalb man " schlecht integrierte Ausländerhaushalte mit geringen Deutschkenntnissen nicht ausreichend erfasst" habe, so Hauser.

Deshalb hätten sich zu wenige Menschen aus der Türkei, Griechenland oder Italien beteiligt; auch seien Jüngere zu selten berücksichtigt. Der Bildungsstand der Befragten werde, wie die Zahl der Wohnungseigentümer, überschätzt. Deshalb ermittle "EU-Silc" systematisch zu niedrige Armutsquoten, so Hauser. "Ich finde es unausgewogen, wenn nur die günstigen Zahlen von ,EU-Silc' in die Öffentlichkeit gebracht werden", sagte Hauser der Süddeutschen Zeitung.

Wie groß die Verzerrungen sind, zeigt sich bei einem Vergleich der offiziellen Daten mit denen des "Sozio-ökonomischen Panels" (Soep), das unter Wissenschaftlern als verlässliche Erhebung gilt: - Der Teil des Armutsberichts, den Olaf Scholz am Montag vorstellte, weist eine Kinderarmut von zwölf Prozent aus. Dies sei "deutlich niedriger als der europäische Durchschnitt", so die positive Bilanz. Die Soep-Erhebung ergab, dass im Jahr 2005 etwa 26 Prozent der deutschen Kinder arm waren. Im EU-Vergleich ist das Armutsrisiko für Kinder nur in wenigen Ländern ähnlich hoch.

- Nach EU-Silc-Ergebnissen ist in Deutschland lediglich jede vierte Alleinerziehende arm. Nach Soep-Angaben ist es mehr als jede Dritte.

- Von den Paaren mit Kindern sind nach amtlichen Angaben nur neun Prozent arm; nach den Soep-Berechnungen sind es 19 Prozent.

Erstaunlich sind auch die amtlichen Feststellungen für die neuen Bundesländer. Dort sei die Armutsquote in den letzten Jahren auf 15Prozent gesunken - "in Zeiten von Hartz IV ist das für Ostdeutschland ein seltsamer Befund", sagt Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, der das Soep erstellt. Nach seinen Daten ist die Armut in Ostdeutschland in den letzten Jahren stetig angewachsen; mittlerweile müsse dort fast jeder Vierte als arm gelten.

Wegen dieser Probleme hatte der Bochumer Armutsforscher Ernst-Ulrich Huster dem Arbeitsministerium geraten, im amtlichen Bericht beide Quellen - EU-Silc und Soep - nebeneinanderzustellen. Auch das Gutachten von Richard Hauser war dem Ministerium seit Monaten bekannt. Trotzdem finden sich die Soep-Daten zur Armut im Bericht vor allem im Anhang, der auf Seite 251 beginnt. Der Textteil über Einkommensunterschiede referiert vorwiegend die positiveren Daten von "EU-Silc".

Ein Sprecher des Arbeitsministeriums sagte, die Kritik der Wissenschaftler sei bekannt gewesen. Man habe sich bewusst für die EU-Daten entschieden, denn nur sie sicherten die Vergleichbarkeit innerhalb Europas: "Die Vorteile haben die Nachteile überwogen."

© SZ vom 21.05.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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