Krankenversicherung:Wenn die Gene zum Fluch werden

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Eine Krankenversicherung kündigt einer Frau, weil sie Fehler im Erbgut verschwieg. Ein neues Gesetz soll davor künftig schützen.

Nina v. Hardenberg

Als sie das Schreiben der Versicherung las, empfand Angelica Barkey erst Furcht und dann Wut. Der Text begann höflich: "Uns fällt es schwer, Ihnen diesen Brief zu schreiben." Die Nachricht aber war unmissverständlich, und sie traf die junge Frau hart. Die private Krankenversicherung Barmenia kündigte Angelica Barkey, weil sie bei Vertragsabschluss falsche Angaben über ihren Gesundheitszustand gemacht hatte. Der Vorwurf: Barkey habe den Gendefekt Thalassämie nicht angegeben.

In Sizilien ist Thalassämie ein weitverbreiteter genetischer Defekt ohne Folgen. Angelica Barkey in ihrer Wohnung in Bielefeld. (Foto: Foto: nvh)

Thalassämie - das Wort klebt seither wie ein Stigma an Angelica Barkey, obwohl sie gar nicht krank ist. Es steht für eine Genveränderung, die sie von der Mutter geerbt hat. Seit ihrem 12. Lebensjahr weiß Barkey von dieser Spielerei der Natur, die ihre roten Blutkörperchen unterm Mikroskop nicht rund, sondern sichelförmig aussehen lässt. Doch bis zu dem Tag, an dem das Schreiben kam, hatte sie darin keine Krankheit gesehen. "Die Thalassämie verursacht ja keinerlei Beschwerden", sagt sie.

Beschwerden nein, Probleme aber bereitet ihr die Genveränderung sehr wohl, das musste Barkey lernen. Für die Versicherung reichte die Tatsache, dass Barkey den Gendefekt sowie einen zeitweiligen Eisenmangel nicht angegeben hatte, als Grund, um das ganze Versicherungsverhältnis in Frage zu stellen. Die Barmenia stellte die Frau vor die Wahl: Entweder sie akzeptiere fortan eine um etwa 115 Euro monatlich höhere Prämie, oder sie suche sich eine neue Versicherung.

Erkrankungen offenlegen

Der Rechtsstreit zwischen der Barmenia und dem Ehemann von Angelica Barkey, über den sie versichert war, liegt länger als ein Jahr zurück, doch er wird noch immer gerne zitiert, wenn es um die Frage geht, wie mit heiklen Gesundheitsdaten umgegangen werden soll. Das Thema beschäftigt diesen Sommer auch die Bundesregierung, die die Informationen aus Gentests in einem Gendiagnostikgesetz besser schützen will.

Wer eine private Versicherung abschließen will, muss alle seine Vorerkrankungen und Diagnosen offenlegen. Nur so kann eine Versicherung das Risiko angemessen kalkulieren. Aber gilt das auch für Gentests, die oft nur Wahrscheinlichkeiten für mögliche Erkrankungen in der Zukunft angeben? Genetische Daten seien sensible persönliche Gesundheitsinformationen, für die ein "besonderer Schutzstandard" gelten müsse, heißt es dazu in dem Gesetzesentwurf des Ministeriums, über den im Herbst im Bundestag beraten werden soll.

Niemand dürfe wegen seiner genetischen Eigenschaften benachteiligt werden. Ein Versicherer dürfe deshalb von seinen Versicherten "weder vor noch nach Abschluss des Versicherungsvertrages Daten aus bereits vorgenommenen genetischen Untersuchungen oder Analysen entnehmen oder verwenden".

Angelica Barkey konnte sich auf kein Gesetz stützen. Sie und ihr Mann klagten dennoch gegen den Versicherungsbescheid. Nun sitzt sie im Wohnzimmer vor einem dicken Aktenordner über den Rechtsstreit. 115 Euro seien für die Familie, die sich damals ein Reihenhäuschen am Rande Bielefelds kaufte, eine große Belastung gewesen. "Davon hätte ich meinen Kindern Anziehsachen kaufen können", sagt sie und weist auf die fünfjährigen Zwillinge, die in einer Wohnzimmerecke spielen.

Fataler Eisenmangel

Sie erzählt von Sizilien, der Heimat ihrer Eltern, in der die Thalassämie weit verbreitet ist. Dort vergleiche man die Genmutation mit den Olivenbäumen: Von 100 Bäumen haben 99 ovale Oliven und einer runde, aber alle sind hochwertig. Experten bestätigen die Harmlosigkeit der Genveränderung. "Thalassämie minor hat in der Regel keine Krankheitsbedeutung und ist beschwerdefrei", schreibt ein Gutachter. Dies sieht die Kasse jedoch anders.

Die erste Verhandlung im Februar 2007 wird ein Sieg für die Barkeys. Das Landgericht Bielefeld erklärt die Kündigung des Versicherungsvertrages für unwirksam. Zwar habe Frau Barkey bei Abschluss des Vertrages objektiv falsche Angaben gemacht, indem sie die Thalassämie und den zeitweiligen Eisenmangel verschwieg.

Allerdings reiche dies nicht als Grund für eine Kündigung des Vertrages, da der Versicherung dadurch keine "erhebliche" Gefahr für einen Schaden entstanden sei. Das Gericht weist außerdem darauf hin, dass die Barmenia die Information über die Genveränderung nicht hätte berücksichtigen dürfen, da die deutsche Versicherungswirtschaft seit 2004 freiwillig auf Informationen aus Gentests verzichtet.

Genau diese Ansicht aber kassiert das Oberlandesgericht Hamm im Berufungsverfahren im Mai 2007 und geben der Barmenia recht. Es macht deutlich, dass die Versicherungswirtschaft sich zwar verpflichtet habe, Gentests nicht zu werten. Die Selbsterklärung beschränke sich aber auf Untersuchungen des Erbmaterials, also auf Anzahl und Struktur der Chromosomen sowie auf Veränderungen in der DNS.

Bei Angelica Barkey sei der Gendefekt dagegen im Alter von 12 Jahren bei einer einfachen Blutuntersuchung festgestellt worden. Auch betonten die Richter, dass die Selbstverpflichtung der Versicherer, Gentests nicht zu berücksichtigen, nur sogenannte prädiktive Tests betreffe, also Untersuchungen an gesunden Menschen, die Auskunft über spätere Krankheitswahrscheinlichkeiten gäben. Bei Barkey sahen sie dagegen in dem vorübergehenden Eisenmangel den Beweis dafür, dass die Krankheit ausgebrochen war. Die Barmenia darf sich bestätigt fühlen, denn das OLG-Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Die Versicherungswirtschaft is alarmiert

Was aber genau ist ein Gentest? Diese Frage, die das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil anschneidet, ist auch ein Knackpunkt des geplanten Gendiagnostikgesetzes. Ist ein Gentest eine Untersuchung von Chromosomen und DNS oder zählen auch andere Diagnoseverfahren dazu, die Rückschlüsse auf Gendefekte erlauben?

Der vorliegende Gesetzesentwurf wählt eine deutlich weitergehende Auslegung als die der Versicherungswirtschaft. Er zählt auch herkömmliche Labordiagnostik als Gentest, wenn damit genetische Fehler entdeckt werden können. Auch Untersuchungen zur Feststellung der Thalassämie würden darunterfallen, urteilt der Humangenetiker Wolfram Henn. Wenn sich seine Auffassung durchsetzt, müssten Versicherungen Fälle wie den von Angelica Barkey womöglich künftig anders handhaben. Die Barmenia will sich zu dieser Frage nicht äußern. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft aber ist alarmiert: Das Gesetz könne das Geschäftsmodell der privaten Versicherer für die Zukunft gefährden, warnt ein Verbandsvertreter.

Angelica Barkey würde eine Verschärfung der Gesetzeslage begrüßen. Ihre Zwillinge würde sie aber auch dann nicht auf Thalassämie testen lassen. Sie und ihr Mann wollen nicht wissen, ob und wie sich die Erbanlage fortgesetzt hat. Die Genveränderung an sich ist harmlos, das Wissen darum jedoch nicht unbedingt.

© SZ vom 22.08.2008/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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