Konfliktherde 2005:Wahlschlachten im Krisenbogen

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Palästina, Irak, Afghanistan: Statt der Waffen dürfen endlich die Bürger sprechen, doch der Weg zum Frieden ist noch weit.

Von Peter Münch

Wo immer die Welt in den letzten Jahren zu den Waffen griff, folgten die Interventionspläne der Lehre vom Doppelschlag: Militäreinsatz und Demokratisierung kamen stets als Geschwisterpaar daher. Allerdings dominierte zuletzt der militärische Teil. Doch 2005 - so steht es zumindest im Kalender - soll in den chronischen Krisengebieten das Jahr des demokratischen Aufbruchs werden. Statt der Waffen sollen endlich einmal die Wähler sprechen.

Flüchtlingskinder in Afghanistan (Foto: Foto: AP)

Am 30. Januar steht im Irak die erste freie Wahl an, und in Afghanistan soll nun nach geglückter Präsidentenwahl im April ein Parlament bestimmt werden. Auch in den Palästinensergebieten, dem Mutterland aller nahöstlichen Konflikte, wird am 9. Januar gewählt. Es geht um die Nachfolge Jassir Arafats.

In der gesamten Region vom Heiligen Land bis zum Hindukusch, die der deutsche Außenminister Joschka Fischer gern zum "Krisengürtel" zusammenschnallt, sind damit günstige Voraussetzungen für eine Stabilisierung gegeben - in der Theorie jedenfalls. In der Praxis jedoch ist nicht zu erwarten, dass die Gewalt damit tatsächlich ein Ende findet.

Saddams Erbe

Im Irak hat sich bereits vorab die Auseinandersetzung verschärft. Der Wahlkampf wurde zur Wahlschlacht. Auch jedes Ergebnis der Abstimmung dürfte zum Anlass neuer Kämpfe werden. Denn jenseits des Widerstands gegen die ausländischen Truppen im Land hat sich mittlerweile eine inner-irakische Front gebildet, die künftig den Konflikt prägen dürfte.

Ein Abzug der Amerikaner allein wird das irakische Dilemma also nicht mehr lösen. Vorrangig geht es inzwischen um einen Kampf zwischen schiitischer Mehrheit und sunnitischer Minderheit.

Zur Wahl haben die Schiiten ihre Reihen geschlossen, weil sie bei einem Bevölkerungsanteil von 60 Prozent auf die demokratisch legitimierte Macht hoffen dürfen. Die Sunniten, die traditionell die Elite stellten und sich nach Saddams Sturz marginalisiert sehen, werden nun von Extremisten in ein Bürgerkriegsszenario getrieben.

Der sunnitische Bombenterror, angeheizt von außen durch den Al-Qaida-Kampf gegen alles Westliche, dürfte also auch nach der Wahl den Alltag im Irak bestimmen. In diesem Klima der Gewalt werden die Wahlsieger, also die schiitischen Parteien und die Kurden, um eine neue Verfassung für das Land ringen müssen. Dass dabei neue Bruchlinien entstehen, ist absehbar.

Zunächst könnte innerhalb der Schiiten der Kampf zwischen moderaten und fundamentalistischen Kräften um die Stellung des Islam ausbrechen. Die von den USA unterstützten Verfechter westlicher Modelle werden auf Anhänger eines Gottesstaates iranischer Prägung treffen. Parallel dazu werden die Kurden die ihnen versprochene weitgehende Autonomie einfordern. Sollten ihre Ansprüche unerfüllt bleiben, könnten sie gewaltsam in Richtung Sezession marschieren - mit weit reichenden Folgen bis hinein in die Kurdengebiete des EU-Aspiranten Türkei.

Für einen friedlichen Interessenausgleich mit den Mitteln der Demokratie scheint im heillos heterogenen Irak jedenfalls nirgends der Boden bereitet zu sein.

Schritt nach vorn

In Palästina dagegen könnte die Wahl am 9. Januar nach mehr als vier Jahren sinnloser Intifada endlich den Weg öffnen zu neuen Friedensverhandlungen. Der PLO-Führer und große Favorit für das Präsidentenamt, Machmud Abbas, ist ein auch für Israel akzeptabler Gesprächspartner. Vor allem aber dürfte er die Unterstützung Washingtons genießen. Angesichts des Irak-Desasters ist für die Regierung George Bushs ein Fortschritt im israelisch-palästinensischen Konflikt von entscheidender Bedeutung, um in der arabischen Welt wenigstens wieder ein paar Punkte zu sammeln.

Wenn es Abbas gelingt, die radikalen Kräfte innerhalb seiner Fatah-Bewegung sowie die Hamas und den Islamischen Dschihad zu kontrollieren, wird er der Gründung eines Palästinenserstaats 2005 entscheidend näher kommen.

Ein erster Schritt dorthin könnte der von Premierminister Ariel Scharon für diesen Sommer angekündigte israelische Rückzug aus dem Gaza-Streifen sein. Scharon plante dies zunächst als einseitigen und zugleich einzigen Akt - als eine Art Frontbegradigung bei gleichzeitiger Konzentration auf die Siedlungsgebiete im Westjordanland. In der Zeit nach Arafat, bei einer Regierungsbeteiligung der Arbeitspartei unter Schimon Peres und angesichts amerikanischen Drucks jedoch könnte dieser Rückzug nun zu einem Schritt nach vorn auf der Road Map werden, in der die internationale Gemeinschaft den Weg zum Frieden markiert hatte. Nach Jahren des Rückschritts gibt es in Nahost wieder Hoffnung.

Und auch in Afghanistan werden die Schatten der Vergangenheit kürzer. Hamid Karsai hat bei der Präsidentenwahl im vorigen Oktober einen großen Sieg gefeiert. Noch wichtiger aber scheint die nachhaltige Niederlage seiner Gegner zu sein. Die 2001 vertriebenen Taliban vermochten trotz brutaler Anstrengungen den Aufbruch des Landes in eine demokratische Zukunft nicht zu stoppen. Auch wenn sie gewiss weiter bomben werden, können sie die Uhr nicht mehr zurückdrehen.

Verloren haben auch die Warlords, allen voran die tadschikische Kriegerclique aus dem Pandschir-Tal. Im vierten Jahr nach dem Krieg steht Karsai nun vor der Aufgabe, auch mit Hilfe des neu gewählten Parlaments die Macht seiner Zentralregierung auf die Provinzen auszudehnen.

Gut möglich jedoch ist es, dass innerhalb des zitierten Krisengürtels im Jahr 2005 ein Land verstärkte Aufmerksamkeit beansprucht, das bislang noch relativ ruhig zwischen dem abklingenden Chaos in Afghanistan und dem weiter tobenden Chaos im Irak gelegen hat: Iran hat mit seiner Atompolitik die USA provoziert. Die Fronten könnten sich weiter verhärten - nicht zuletzt durch eine Wahl. Im Sommer wird in Iran ein neuer Präsident bestimmt, und den Reformern droht eine weitere Niederlage.

© SZ vom 5.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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