Kommunikation :Mal ganz einfach erklären

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"Der Corona-Test... Der Arzt oder die Ärztin macht einen Abstrich. Das heißt: Er oder sie benutzt dafür ein langes Watte-Stäbchen." (Foto: www.corona-leichte-sprache.de)

Menschen mit geistiger Behinderung erhalten so nur spärliche Informationen. Behörden aber tun sich schwer mit Leichter Sprache.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Für die meisten Menschen waren die vergangenen Wochen eine Art Volkshochschulkurs in Epidemiologie. Jeder sollte möglichst schnell verstehen, wie das Virus übertragen wird, wie man sich und andere schützen kann, und warum das gesellschaftliche Leben vorübergehend eingeschränkt wird. Bund und Länder haben deshalb auf ihren Internetportalen viele Fragen rund um das neuartige Coronavirus beantwortet. Allerdings haben sie dabei anfangs mehrere Millionen Menschen völlig übersehen: all jene nämlich, die auf Informationen in der sogenannten Leichten Sprache angewiesen sind. Neben Menschen mit geistiger Behinderung, von denen etwa 900 000 in Deutschland leben, sind das unter anderem 6,2 Millionen Erwachsene, die als funktionale Analphabeten gelten.

Leichte Sprache benutzt einfache Worte, kurze Sätze und folgt Regeln, die das "Netzwerk Leichte Sprache" ausgearbeitet hat, ein Verein aus Übersetzern, Prüfern und Sozialorganisationen: Jeder Satz hat nur eine Aussage. Überschriften und Aufzählungszeichen ordnen Informationen, Bilder helfen dabei. "Wichtig ist außerdem, dass die Texte von Menschen aus der Zielgruppe geprüft werden", sagt Marion Klanke, die das Büro für Leichte Sprache bei der Lebenshilfe Bremen leitet. Es bietet Übersetzungen aus dem Amtsdeutschen in Leichte Sprache für Behörden an, wurde 2004 eröffnet und war das erste seiner Art in Deutschland.

Viele Leute mit geistiger Behinderung erhalten so nur spärliche Informationen

Seit 2014 sind Bundesbehörden verpflichtet, auf ihren Internetseiten auch Informationen in Leichter Sprache zu veröffentlichen. Bisher haben sie sich dabei oft auf einen einzigen Alibi-Text mit Basisinformationen über die Aufgaben des Ministeriums beschränkt. Mittlerweile finden sich dort auch Inhalte zu Corona. Die Bundesministerien haben jedoch offensichtlich keinen gemeinsamen Standard für Leichte Sprache und arbeiten beim Formulieren ihrer Texte auch nicht zusammen. Jedes Haus hat seine eigene Übersetzung in Auftrag gegeben, deren Qualität stark variiert. Meist sind die Inhalte nicht für die Zielgruppe aufbereitet.

Der extremste Fall ist die Internetseite des Sozialministeriums, das tapfer versucht, über Kurzarbeitergeld und andere Auswirkungen des Coronavirus zu informieren, aber seine Erklärungen als unübersichtlichen Textwust präsentiert. Das Gesundheitsministerium wiederum ermüdet mit langatmigen Erläuterungen ("Ein Virus ist ein sehr kleines Teilchen. Fachleute können es nur mit besonderen Geräten sehen. Die Mehrzahl von Virus ist: Viren."). Eine Textstelle erweckt sogar den Eindruck, man müsse husten oder niesen, wenn man mit anderen Personen zusammensteht.

"Das ist alles andere als optimal", sagt der Reutlinger Bundestagsabgeordnete Pascal Kober, evangelischer Theologe und sozialpolitischer Sprecher der FDP. Die Bundesbehörden müssten Menschen mit Behinderung besser im Blick haben, fordert er: "Viele verspüren gerade große Verunsicherung und brauchen dringend Zugang zu verständlichen Informationen, die Ängste nehmen." Kober wünscht sich, dass das Thema Leichte Sprache in künftigen Pandemieplänen berücksichtigt wird.

Weil das Angebot der Behörden so enttäuschend war, sind einige Gestalter und Übersetzer auf eigene Rechnung tätig geworden. "Als wir angefangen haben, gab es für die Zielgruppe so gut wie nichts", sagt Anne Leichtfuß, die als freie Übersetzerin für Leichte Sprache arbeitet. Das wenige Material habe sich auf die immer gleichen Punkte beschränkt: "Was ist ein Virus? Es ist gefährlich. Wasch dir die Hände!" Von den behinderten Menschen, die ihre Texte auf Verständlichkeit überprüfen, weiß sie, wie sehr die spärlichen Informationen die Zielgruppe beunruhigt haben - und dass wichtige Fragen unbeantwortet blieben. Viele seien es gewohnt, mit einer Begleitperson zum Arzt zu gehen, was nun nicht immer möglich sei. Die ehrenamtliche Initiative hat deshalb Informationsmaterial entworfen, das die Abläufe beim Coronatest und die Anweisungen des Arztes bebildert und erklärt. Die Sozialorganisation Aktion Mensch übernahm die Kosten für Druck und Versand. Nach dem Osterwochenende soll das Material an Kliniken und ambulante Dienste verteilt werden. Es ist im Internet unter www.corona-leichte-sprache.de abrufbar.

© SZ vom 14.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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