Kommentar zur Unterschriftenaktion:Gesten statt Politik

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Wenn es Merkel und Stoiber in den Kram passt, entdecken sie den Charme der Volksbefragung.

Von Kurt Kister

Wann immer es darum ging, ob das Volk in der Bundespolitik bei bestimmten Fragen oder ganz grundsätzlich direkt mitsprechen sollte, haben sich CDU und CSU dagegen gewehrt.

Die Konservativen vertraten diese Position beim Streit um die Wiederbewaffnung in den fünfziger Jahren, später in den Kontroversen um Atomkraft und Nachrüstung und besonders deutlich in der Debatte über die Änderung des Grundgesetzes nach der Wiedervereinigung.

Man könnte also meinen, es handele sich um eine prinzipielle Position der Union - so wie etwa die Zusage aller bisherigen CDU-geführten Bundesregierungen, dass die Türkei, politische Veränderungen vorausgesetzt, eine EU-Beitrittsperspektive habe.

In der Union aber zählen offenbar Prinzipien nichts mehr, jedenfalls nicht, seitdem Angela Merkel die CDU führt. Um nicht bei der Türkei anzufangen: Seit Jahren predigen Unionisten, die Steuern seien zu hoch, und nun vertritt Merkel eine Gesundheitsreform, die nur über deutlich höhere Steuern zu finanzieren ist.

Und weiter: Egal was alle ihre Vorgänger von Adenauer bis Kohl über Türkei und EU gesagt haben, lehnt Merkel eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ab. In ihrer Obsession, sich um jeden Preis von Gerhard Schröder zu unterscheiden, hat sie nun eine Frankenwein-Idee des gemütlichen CSU-Provokateurs Michael Glos aufgegriffen.

Eine Unterschriftenaktion gegen die türkische Mitgliedschaft wird erwogen, was zu seiner Schande auch Edmund Stoiber für "vernünftig" hält.

"Legitimisierung" der politischen Opposition

Eine solche Unterschriftenaktion ist eine Täuschung. Es würden all jene getäuscht, die unterschreiben würden, weil es Merkel & Co. keineswegs um die Mitsprache der Bürger, sondern nur um die möglichst laute "Legitimierung" dessen geht, was sie unter politischer Opposition verstehen.

Zweitens ist eine Festlegung darauf, dass die Türkei niemals die EU-Kriterien erfüllen kann, also nicht Mitglied werden darf, zutiefst unvernünftig und unpolitisch.

Politik ist auch das Reagieren auf Veränderungen. Es ist besonders pikant, dass ausgerechnet Angela Merkel, das DDR-Kind, der Türkei jenes Potenzial zum Wandel abspricht, dank dessen fast alle ehemaligen "Ostblock"-Länder heute in der EU sind.

Eine Unterschriftenaktion wäre die Ersetzung der Argumentation durch politische Gestik: Wessen Rede zu schwach ist, der fuchtelt besonders wild mit den Händen.

Leider ist das Prinzip "Gestik statt Argumentation" auch auf der anderen Seite erkennbar. Von Rot und mehr noch von Grün kommt der Hinweis, dass die CDU eben wieder einmal "gegen Ausländer" unterschreiben lassen wolle.

Dies ist eine törichte Reaktion auf eine törichte Geste. Man kann viel gegen Merkels Oppositionismus sagen, aber ihr bestimmt nicht unterstellen, dass sie die Ausländerfeindlichkeit einer Minderheit hierzulande instrumentalisieren wolle.

Auch die Befürworter eines Beitritts sollten sich mit den Argumenten der Gegner auseinander setzen anstatt die Moralkeule zu schwingen.

© SZ vom 12. Oktober 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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