Kommentar zu Großbritannien:Blairs langer Abschied

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Der Irak-Krieg ist Blairs Gegenwart, die nicht vergehen will. Mit aller Macht versuchen seine Helfer vor dem Labour-Parteitag, die Aufmerksamkeit vom Krieg weg und zu den heimischen Themen hin zu richten. Doch Blairs einst so strahlender Stern ist bereits untergegangen - am Himmel über Bagdad.

Von Christoph Schwennicke

Neulich war in den Straßen von Westminster etwas Seltenes zu besichtigen. Britischer Volkszorn raste da, und alle vornehme Duldsamkeit war dahin. Bürgerkriegsähnliche Zustände, Blut, Knüppel, Tränen. Polizisten droschen auf Demonstranten ein.

Im Parlament rannten befrackte Saaldiener hinter Eindringlingen her, die in die Sitzung platzten. Weil zeitgleich ein Mann einer Väterinitiative als Batman die Fassade von Buckingham Palace erklommen hatte, folgte auf die Randale eine Doppel-Debatte um die Sicherheit von Monarchie und Demokratie. Ein wunderliches Land ist das.

Blutende Köpfe, der Fuchsjagd wegen, und die Mätzchen einer Männergruppe ziehen tagelange Betrachtungen zur Abwägung von Freiheit und Sicherheit nach sich. Es gäbe bedeutende Anlässe zum Aufruhr im Staate Blair.

Das Gesundheitssystem verwaltet den Mangel - das Land ist kaputt

Großbritannien ist in einem Zustand, der einer führenden Industrienation des 21. Jahrhunderts unwürdig ist. Das Gesundheitssystem NHS verwaltet den Mangel. Manche Hospitäler in London sind unfassbar verwahrlost.

Kürzlich hat ein Krebskranker sein Geld per Testament dem NHS vermacht. Davon sollten die blinden Fenster geputzt werden, durch die er in seinen letzten Wochen nicht nach draußen blicken konnte. Das Land ist kaputt.

Ein Wolkenbruch im August, und 600.000 Tonnen Abwässer spült es über die Kanalisation aus viktorianischer Zeit ungeklärt in die Themse, bis die Fische verrecken, und der Fluss wieder jener Kloake gleicht, die er vor 200 Jahren ständig war.

Gerade hat Blair ganz stolz eine Eisenbahnstrecke zwischen London und Manchester eingeweiht. Man kann seither sagen, dass es immerhin einen Zug auf der Insel gibt, der 200 Stundenkilometer schnell fahren kann. Das wird als große Sache erachtet in Blairs selbst ernanntem New Britain.

Es gäbe also Dinge jenseits von Fuchsjagd und Batman, über die man sich ereifern und für die man die Regierung verantwortlich machen könnte: Jenseits aller Wirtschaftskraft des Landes bläst sich ein Rentenballon auf, und die einfachen Leute, Labours Klientel, können sich bei dem irrwitzig überhitzten Immobilienmarkt die bescheidensten Häuschen nicht mehr leisten.

Zuerst aber und vor allem ist da der Irak. Premierminister Tony Blair hat mit dem Irak-Krieg den größten Irrtum der jüngsten Weltgeschichte begangen und mitverschuldet.

Dafür hat er sein Volk getäuscht, fadenscheinige Argumente angeführt, windiges Material aufgefahren und Warnungen ignoriert. Und doch konnte man bislang darüber staunen, dass der Durchschnittsbrite diesen falschen Krieg offenbar ebenso hinnimmt wie schlechte Züge und Krankenhäuser.

Aber: Blair, der zunehmend Züge von Hybris erkennen lässt, sollte vor seinem Labour-Parteitag in Brighton zur Kenntnis nehmen, dass der Wind heißer wird, der ihm aus dem Irak ins Gesicht bläst. Der Rückhalt der Bevölkerung ist weg, selbst wenn sich das noch nicht in Massenprotesten ausdrückt.

Nach jüngsten Zahlen stehen nur noch 38 Prozent der Briten hinter dem Irak-Feldzug, und 54 Prozent der Briten wünschen sich einen Rückzug der Truppen. Diese Zahlen stammen noch aus der Zeit vor der Geiselnahme Ken Bigleys.

Öffentlich sind es Labour-Leute wie Robin Cook und Tony Benn, die dem Premier die Ohren lang ziehen für seine Legitimierungsversuche, die von der Realität widerlegt werden. Die stille Zustimmung zu ihren Attacken ist groß innerhalb von Labour. Blair weiß schon, weshalb er Interims-Premier Allawi doch nicht eingeladen hat an die See nach Brighton.

Der Irak-Krieg ist Blairs Gegenwart, die nicht vergehen will. Mit aller Macht versuchten seine Helfer vor dem Parteitag, die Aufmerksamkeit vom Krieg weg und zu den heimischen Themen hin zu richten. Die Agenda aber bleibt vom Krieg dominiert.

In Michael Howard findet Blair seinen John Kerry

Wie in den USA wird sich der britische Wahlkampf für die Unterhauswahlen (vermutlich im kommenden Mai) darum drehen - bereichert um Asyl und Einwanderung sowie um das Gesundheitssystem und die verhasste Kommunalsteuer. Europa wird keine große Rolle spielen, obwohl Blair auf diesem Feld versagt hat und angreifbar wäre.

Die Fragen sind nun: Gelingt es Blair, die Irak-Kluft zwischen sich und seiner Partei in Brighton wenigstens nicht größer werden zu lassen? Kann Blair im Wahlkampf so erfolgreich als Kriegsherr auftreten wie George Bush? Diese Frage hängt, wie bei Bush auch, von seinem Herausforderer ab.

Und in Michael Howard findet Blair seinen John Kerry. Wie Kerry ist Howard in der Rolle des kritisierenden Unterstützers nicht überzeugend. Interessant ist aber immerhin, dass Blair Howard fürchtet. Es ist hinter der Fassade der Hybris nicht gut bestellt um die Nerven des Amtsinhabers, wenn er sich vor einem wie Howard fürchtet.

Mag sein, dass Tony Blair eine dritte Amtszeit bekommt, trotz Irak - weil das britische Wahlvolk so duldsam ist und die Alternative so schwach. Blairs Ende hat trotzdem schon begonnen.

Spätestens nach einem verlorenen Referendum über die Europäische Verfassung wird er zurücktreten müssen und an einen Nachfolger übergeben, eher an Alan Milburn als an Gordon Brown. Blairs einst so strahlender Stern aber ist bereits untergegangen am Himmel über Bagdad.

© Süddeutsche Zeitung vom 27. September 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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