Kommentar:Zaghaft, aber gelungen

Lesezeit: 3 min

Angela Merkel weckt mit ihrer Regierungserklärung Erwartungen, ohne zuviel zu versprechen.

Von Hans Werner Kilz

Es stimmt also doch: So viel Sozialdemokratie war nie. Fast alles, was Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung vorgelesen hat, hätte auch von Gerhard Schröder sein können. Vielleicht mit etwas mehr Tremolo in der Stimme, freier und pathetischer im Vortrag, optimistisch, ehrgeizig in den Ansprüchen, doch letztlich vage und unverbindlich in den inhaltlichen Versprechungen.

Nur in der Form wäre die Darbietung Schröders ganz anders gewesen: rhetorisch eleganter, gespickt mit Pointen, packender in der Gestik und staatsmännischer in der Pose. Das blieb der Kanzlerin schon deshalb verwehrt, weil die Entsprechung, staatsfrauisch eben, erst noch gefunden werden müsste.

Die Bundesrepublik Deutschland wird erstmals von einer Frau regiert, einer Frau zumal, die mit ostdeutscher Biografie eine atemberaubend schnelle Karriere hingelegt hat. Angela Merkel weiß um diese doppelte Zäsur in der Nachkriegsgeschichte, und sie hat sie mit einer geschickten Einleitung in ihrer Regierungserklärung aufgegriffen.

Wer hätte gedacht, fragte sie rhetorisch, dass das höchste Regierungsamt schon in diesem Jahr einer Frau übertragen wird? Und wer hätte gedacht, dass der Koalitionspartner SPD von einem Parteivorsitzenden aus Brandenburg angeführt wird?

Und sie hätte - an die eigene Fraktion gerichtet - noch ergänzen können: Sie, meine lieben Freunde, trauten mir bis vor kurzem doch auch nicht zu, dass ich mich an der Spitze der CDU behaupten und bis ins Kanzleramt durchmogeln kann.

Viel Krampf und Kompromissbereitschaft

Merkel steht nun ganz oben, und die Art und Weise, wie sie das am Mittwoch im Deutschen Bundestag thematisiert hat, weckt Sympathie, weist sie als politisch kluge und einfühlsame Partnerin aus. Ob sie eine gute und erfolgreiche (vielleicht sogar große) Kanzlerin werden wird oder sich doch nur als Verwalterin einer rot-schwarzen Zwangskoalition entpuppt, wird sich allein an der Leistung dieser Regierung messen lassen.

Dem Programm, das die Kanzlerin vorgetragen hat, ist deutlich anzumerken, mit wie viel Krampf und Kompromissbereitschaft es zustande kam.

Merkel versucht, aus dem behaupteten, von ihr im Wahlkampf beklagten "absoluten Stillstand" plötzlich Bewegung zu erzeugen. Und weil sie das jetzt mit und nicht gegen Sozialdemokraten durchsetzen muss, umgarnte sie die geschundene SPD mit Schmeicheleien.

Sie dankte ihrem Vorgänger und Wahlkampfgegner Gerhard Schröder für seine Agenda 2010, die er nur gegen erhebliche Widerstände habe durchsetzen können. Und sie nahm Anleihe aus einer Regierungserklärung der SPD-Ikone Willy Brandt ("Mehr Demokratie wagen") von 1969, um ihrer nun beginnenden Kanzlerzeit einen programmatischen Leitgedanken voranzustellen: "Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen."

Das klang, als trauere sie noch immer der schwarz-gelben Koalition nach, die sie so sehnlich wünschte, aber nicht bekommen hat. So kam vieles, was Merkel zu den großen Aufgaben Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Sozial- und Gesundheitsreform anzukündigen hatte, über Beschwörungen und allgemeine Appelle an die Reformbereitschaft nicht hinaus.

Die Kanzlerin weiß, dass die deutsche Wirtschaft stagniert, dass die Vorgänger-Regierungen einen Schuldenberg aufgehäuft haben, der kommenden Generationen eine bedrückende Hypothek hinterlässt. Und sie weiß auch, dass sie diese Last in einer Gesellschaft abtragen muss, die durch ihr Abstimmungsverhalten bei der Bundestagswahl klar gemacht hat, dass sie nicht bereit ist, auf früher Errungenes widerstandslos zu verzichten.

Folglich beginnt Angela Merkel ihre "Regierung der Taten" ziemlich zaghaft. Sie verschiebt die Bemühungen, den Etat zu sanieren, erst einmal auf das Jahr 2007. Sie akzeptiert einen neuen Schuldenrekord und einen grob verfassungswidrigen Haushalt, der mit den Maastrichter Defizitkriterien kollidiert.

Gleichwohl mutet sie der Bevölkerung harte Einschnitte zu, kürzt faktisch die Renten und baut Steuerprivilegien ab. Die Reform des Gesundheitswesens vertagt sie, hält allerdings daran fest. Mit dem Geld aus der Mehrwertsteuererhöhung stopft sie Haushaltslöcher, nur ein Drittel verwendet sie für die Senkung der Lohnnebenkosten. All jene, die mutiger nach vorn springen wollten, werden enttäuscht sein, weil ihnen das gemächliche Tempo des Wandels nicht genügt.

Andererseits wird auch die große Koalition schnell spüren, dass deutsche Politik auf Rentabilität, und damit auf Arbeitsplätze, wenig Einfluss hat.

Deutsche Unternehmen, das zeigt der Export, sind auch dann extrem erfolgreich, wenn die Volkswirtschaft im Innern lahmt. Global Player scheren sich nicht um nationale Standortpolitik. Merkels Regierung muss es tun, sie will erfolgreich sein und vom Wähler gelobt werden. Eine schwierige Aufgabe, denn zumindest die Union muss politisch genau das Gegenteil von all dem machen, was sie vor der Wahl versprochen hat.

Aus dieser Konstellation könnte die SPD langfristig einen strategischen Vorteil ziehen. Entscheidend wird sein, wie Angela Merkel öffentlich wirkt. Ihr parlamentarisches Debüt als Kanzlerin lässt vermuten: Was sie erst mal hat, lässt sie sich so schnell nicht wieder nehmen.

© SZ vom 1.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: