Kommentar:Wetterleuchten im Westen

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Wahlkampf in den USA ist eine wetterwendische Angelegenheit. Wer heute eine glaubwürdige Prognose für das Ergebnis am 2. November abzugeben behauptet, der ist ein politischer Scharlatan. Das war vor der zweiten Amtsperiode von Ronald Reagan 1984 oder Bill Clinton 1996 anders. Aber George Bush der Jüngere ist kein Reagan und auch kein Clinton.

Von Stefan Kornelius

Amerika ist vor einer möglichen zweiten Amtszeit Bushs politisch gespalten, ideologisch zerfurcht und gesellschaftlich aufgewühlt. Ein Land im inneren Umbruch, verunsichert durch heftige Glaubenskämpfe der politischen Lager - da bündelt der Wahlkampf alle Energie, und mit einer Entladung ist erst wenige Wochen oder gar Tage vor der Abstimmung zu rechnen.

Wichtig ist deshalb, wie sich die Gewitter aufbauen, und wo bereits jetzt schon die Blitze zucken. Wichtig ist deshalb die Nominierung des running mate für den Herausforderer, weil sich Politik immer noch am besten über die Person verkaufen lässt und weil die Benennung des potenziell zweiten Mannes im Staat automatisch zu einer atmosphärischen Verdichtung führt, nach der es krachen und zischen kann.

John Kerrys Kampagne brauchte dringend dieses erste Donnerwetter, weil dem Herausforderer ein typisches Schicksal zu widerfahren drohte: Seine Faszination war mit dem Vorwahlkampf verbraucht. Im Interludium bis zum Beginn des heißen Wahlkampfes spielte er nicht die erste Geige. Nun muss er mit aller Macht auf die Bühne zurück: Kerry muss wahrgenommen werden; er muss begeistern, seine Persönlichkeit preisgeben, seine Glaubwürdigkeit beweisen, sein Programm erklären und alle über ihn verbreiteten Stereotypen widerlegen.

Kerry braucht ein Thema - nicht ein Dutzend davon

All dies muss ihm gelingen in Konkurrenz zu einer in ihrem Niedergang fesselnden Präsidentschaft Bush, in Konkurrenz zu den Nachrichten aus dem Irak und im Einklang mit den wirklichen Bedürfnissen der Amerikaner, die herauszufinden der Schlüssel zum Wahlerfolg im November sein wird.

Kerry braucht ein Thema - nicht ein Dutzend davon. Das genau ist das größte Problem für den Herausforderer: Er steht für alles und deshalb auch für nichts. Bill Clinton hatte seinen "dritten Weg", George W. Bush seinen "mitfühlenden Konservativismus".

Hinter all den Formeln eröffnete sich eine Vision, ein Leitbild für Amerika, das mehr zu tragen versprach als tagespolitische Taktik. Kerry ist bisher aber nur Taktik geblieben, seinem Wahlkampf fehlt die Überschrift und die Leidenschaft. Die Nominierung von John Edwards wird das auch nicht ändern.

Edwards kann Kerrys visionäre Unschärfe nicht aufwiegen

Edwards steht zwar für Frische, Jugendlichkeit und den Süden des Landes. Damit kann Kerry seine eigenen Schwächen in der Tat ein wenig ausgleichen. Aber Edwards Nutzen bleibt somit auch nur taktisch. Das Charisma des Vizes kann die visionäre Unschärfe des Kandidaten nicht aufwiegen.

Das muss nicht so bleiben, denn die knapp vier Monate bis zur Wahl am 2. November sind eine lange Zeit, und eine Vision kann nur mit einer klugen Choreografie aufgebaut werden.

Diese Vision muss das zentrale Problem Amerikas zu lösen versprechen: die Polarisierung. Der Präsident und seine Politik spalten im Inneren wie im Äußeren.

Bush zieht nach einer Gallup-Umfrage die Zustimmung von 91 Prozent der Republikaner auf sich, aber nur von 17 Prozent der Demokraten - so eine Kluft gab es nicht, seitdem Stimmungen gemessen werden. Durchschnittlich liegen 50 Prozentpunkte zwischen den Lagern.

Außenpolitisch ist diese Polarisierung leicht zu erklären: Terror, Irak, Nahost, Bündnispolitik. Sie wird verschärft durch die dominante Rolle, die Amerika als unipolare Macht zwangsläufig spielt.

Innenpolitisch erleben die USA seit einigen Jahren schon eine ideologische Aufladung, die sehr eng mit der religiösen Erweckungsbewegung im Land verbunden ist.

Was bleibt, sind die polarisierenden Wahlkampfthemen

Der Graben zwischen Unilateralisten und Internationalisten, zwischen den religiösen und den aufgeklärt-säkularen Wählern wird so leicht nicht zu schließen sein. Aber es gibt auch ein großes Bedürfnis nach Versöhnung und Ausgleich von Wählern in der Mitte.

Nicht zufällig war eine Kandidaten-Kombination Kerry-McCain als Ticket der nationalen Versöhnung gefeiert worden. Der konservative Senator John McCain wäre in der Lage gewesen, die unentschlossenen und auf Ausgleich bedachten Wähler in der Mitte von den Ideologen am rechten Rand zu trennen. Mit ihm als Vize-Kandidaten hätte Kerry an Anziehung gewonnen.

Zu dieser Traumpaarung ist es nicht gekommen. Was bleibt, sind die polarisierenden Wahlkampfthemen - die Außenpolitik, die Werte-Fragen wie Homo-Ehe oder Stammzellenforschung und natürlich das Pinocchio-Problem: Ist Bush ein Lügner, und welcher der Kandidaten ist wirklich glaubwürdig? George Bush ist bisher ein ernstes Wirtschafts-Problem erspart geblieben.

Würden Zweifel an der Stabilität der amerikanischen Volkswirtschaft aufkommen - der Präsident wäre in ernster Bedrängnis. So aber sieht er sich erst einmal zwei Herausforderern gegenüber, die zwar für ein Wetterleuchten sorgen können, Wettermacher aber ist George Bush. Für Blitz und Donner ist er selbst verantwortlich.

© SZ vom 07.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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