Kommentar:Wer verändert wen?

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US-Präsident Bush hat seine Forderungen nach einem freieren China wiederholt. Es ist inzwischen klar geworden, dass solche Forderungen zunehmend in unserem ureigenen Interesse sind. Denn je weniger wir China verändern, desto chinesischer könnten wir eines Tages sein.

Henrik Bork

China ändern zu wollen, ist ein alter Traum des Westens. Schon die jesuitischen Missionare versuchten, die Ming-Kaiser mit Klavierunterricht zu ködern und ihre Eunuchen zum Herrn zu bekehren. Sie hatten mäßigen Erfolg. Zwar ist das Klavierspielen heute in China sehr populär, Christen aber sind noch immer eine Minderheit.

Andere Änderungsversuche waren weniger friedlich. Die Engländer schossen von Kanonenbooten auf chinesische Häfen, um ihre Idee vom "Freihandel" mit Opium durchzusetzen. Die Chinesen brauchten eine Weile, konnten die Eindringlinge nebst den mitgereisten Pfaffen aber irgendwann wieder aus dem Land werfen.

Texanische Sensibilität

Nun ist US-Präsident George W. Bush angetreten, China zu verändern. Vor dem eben skizzierten historischen Hintergrund bewegt er sich dabei mit der ihm eigenen, texanischen Sensibilität. Am gestrigen Sonntag besuchte er in Peking demonstrativ eine evangelische Kirche und schrieb "Gott segne Chinas Christen" ins Gästebuch.

Vor der Kirche stehend verbreitete er die Botschaft, die Religionsfreiheit in China liege ihm sehr am Herzen. Die kommunistischen Mandarine in Peking ließen Bush gewähren und sorgten im Übrigen dafür, dass ihr Volk von dem Kirchenbesuch so wenig wie möglich erfuhr.

Ähnlich friedfertig haben beide Seiten ein weiteres Pochen auf Veränderung hinter sich gebracht, das zum Ritual westlicher Staatsbesuche in China gehört. Schon von Japan aus hatte Bush Peking zu mehr Demokratie und politischer Öffnung gemahnt.

Ausgerechnet den Rivalen Taiwan empfahl er dabei als Vorbild. In Peking drängte er die Kommunisten dann noch einmal zu religiösen, politischen und sozialen Freiheiten. Die ertrugen es gelassen und kündigten zeitgleich an, dass sie weitere 70 Flugzeuge bei Boeing in Seattle bestellen wollen.

Übertönt von solchen verbalen Schlagabtauschen wird indessen ein Trend, der sich still und heimlich in das Verhältnis Chinas zum Westen eingeschlichen hat. China hat begonnen, uns zu verändern. Während wir weiter davon träumen, in Peking als Schulmeister in Sachen Menschenrechte oder Ethik auftreten zu können, stellt das totalitäre System der chinesischen Entwicklungsdiktatur zunehmend unsere eigenen Werte in Frage.

Ein Beispiel ist die Wirtschaftsmoral internationaler Konzerne, die deutlich unter dem Chinarausch ihrer Manager leidet. So hat etwa die Internetfirma Yahoo kürzlich den chinesischen Sicherheitsbehörden den Zugriff auf ihre Computer erlaubt.

Die konnten daraufhin dem chinesischen Journalisten Shi Tao das Versenden regimekritischer E-Mails nachweisen. Der Journalist wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Yahoo hatte erst zuvor eine Milliarde Dollar in Chinas größte Online-Firma alibaba.com investiert.

Amerikanische Firmen liefern der kommunistischen Diktatur auch die Software und das Know-how für ihren massiven Versuch, das Internet zu zensieren. Cisco Systems und Microsoft, um nur zwei Beispiele zu nennen, sind für solche Geschäfte in die Schlagzeilen geraten.

Ethischer Kompass durcheinander

Der Sog des chinesischen Marktes und das dort herrschende politische Klima haben begonnen, den ethischen Kompass westlicher Geschäftsleute endgültig durcheinander zu bringen.

Auch eine weitere Säule unseres freiheitlich-demokratischen Systems wird von vermeintlichen Marktzwängen in China angenagt. Die Presse- und Meinungsfreiheit in den USA und in Europa ist in Gefahr, von dem beeindruckenden Wirtschaftswachstum Chinas und der Gier westlicher Manager eingeschränkt zu werden.

Die China-Berichterstattung wird aufgrund liebedienerischer Selbstzensur immer unkritischer. Westliche Medien "sollten vermeiden, der chinesischen Regierung gegenüber unnötig offensiv zu sein", hatte ein Manager des Medienkonzerns Viacom schon vor Jahren auf einem Seminar des Magazins Fortune in Schanghai gesagt.

Großverlage in den USA haben mit Hinblick auf die Investitionen ihrer Konzerne in China begonnen, euphorische Sonderhefte über China zu drucken. Wenn ihre Leser nun immer häufiger die beeindruckenden Wolkenkratzer in Schanghai auf den Titelblättern sehen, aber immer weniger über Massenarbeitslosigkeit, Korruption oder Menschenrechtsverletzungen lesen, dann stecken dahinter handfeste wirtschaftliche Interessen. Europäische Medien imitieren oft dieses unkritische Chinabild, orientieren sich an den US-Medien.

Und dann haben wir noch die unsinnige Modefrage, ob "die Chinesen" uns in den kommenden ein, zwei Jahrzehnten wirtschaftlich überrollen könnten. Davon sind sie meilenweit entfernt. Doch Chinas wachsender Energiehunger, seine gigantischen Umweltprobleme und sein Streben nach mehr außenpolitischem Einfluss werden unsere Politik in den kommenden Jahrzehnten zweifellos mehr verändern als unsere Politiker China.

All dies ist kein Argument dafür, Mahnungen zu mehr Demokratie an die Adresse Chinas einzustellen. Vielmehr ist inzwischen klar, dass solche Forderungen zunehmend in unserem ureigenen Interesse sind. Denn je weniger wir China verändern, desto chinesischer könnten wir eines Tages sein.

© SZ vom 21.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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