Kommentar:Wehrpflicht ade

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Was stimmt nicht mit der Wehrpflicht im Lande?

Von Reymer Klüver

Das Bundesverfassungsgericht hält die Einberufungspraxis der Bundeswehr für klärungsbedürftig. Es hat deshalb einen Wehrpflichtigen ermuntert, auf dem Instanzenweg weiter gegen seine Einberufung zu klagen, bis der Fall regulär bei den Karlsruher Richtern anlangt. Deutlicher kann der Hinweis des höchsten deutschen Gerichts kaum sein, dass etwas nicht stimmt mit der Wehrpflicht im Lande. Doch was macht der zuständige Minister? Er gräbt sich ein und wartet ab.

Gewiss, Peter Struck hat das Problem geerbt. Und es ist auch richtig, dass er mit dem Umbau der Bundeswehr, der Reduzierung der Truppe und der bald anstehenden Schließung von weiteren 100 Standorten sich schon genug Ärger aufgeladen hat. Und doch ist es ein falsches Zeichen, dass selbst ein Verteidigungsminister, der sich mit Erfolg ein Macher-Image gegeben hat, offenbar die Reform scheut. Lieber sitzt er das Problem aus - aus lauter Rücksicht auf die unklaren Mehrheitsverhältnisse in seiner Partei in dieser Sache. Lieber nimmt er in Kauf, dass Gerichte wieder einmal Politikern die Entscheidung abnehmen. Lieber lässt er den Eindruck zu, dass der Politik die Kraft fehlt für Reformen in einem gesellschaftlich hochbrisanten Thema.

Heikle Angelegenheit für Struck

Struck weiß, wie heikel die Angelegenheit ist und hat für den Fall der Fälle vorgesorgt. Zu Jahresanfang wies er seine Generalität an, die Bundeswehr so umzubauen, dass sie in Zukunft ohne viel Aufhebens auch auf Wehrpflichtige verzichten könnte, sollte es eine Mehrheit für das Ende der Wehrpflicht geben. Öffentlich dagegen bekennt sich Struck immer lauter als deren Verfechter.

Diese Strategie führt dazu, dass faktisch über die Wehrpflicht in dieser Legislaturperiode nicht mehr entschieden werden wird; bei einem Regierungswechsel wohl auf Jahre hinaus nicht. Das nennt man Verzicht auf politische Gestaltungmöglichkeiten.

Dabei ist die Aussetzung der Dienstpflicht vor allem aus zwei Gründen geboten. Die mangelnde Wehrgerechtigkeit dürfte vor Gericht das entscheidende Argument sein. Wenn nicht einmal mehr ein Fünftel aller wehrfähigen Männer eingezogen wird, wird die Wehrpflicht keinen Bestand haben. Die im Grundgesetz verankerte allgemeine Wehrpflicht ist eben etwas anderes als die heute praktizierte Auswahlwehrpflicht, der Eingriff des Staates in das Leben junger Männer nach dem Zufallsprinzip.

Und von der Sache her ist die Wehrpflicht unnötig. Ein Massenheer, bereit, einen waffenstarrenden Feind aus dem Osten zurückzuschlagen, ist auf absehbare Zeit nicht mehr erforderlich. Statt dessen ist eine Truppe hoch trainierter, spezialisierter Profis gefragt. Schon jetzt ist die Bundeswehr eine Freiwilligen-Armee von knapp 200.000 Berufs- und Zeitsoldaten, die sich zusätzlich 50.000 Wehrpflichtige leistet.

Das weiß Struck auch. Aber weshalb lässt er sich nicht weiter darauf ein? Im Wesentlichen sind es zwei Gründe. Da sind zunächst die Finanzen. Für einen Verteidigungsminister mit notorischen Haushaltsproblemen kommt das einem Totschlagargument gleich. Denn die Umstellung von einer Wehrpflicht- auf eine reine Freiwilligenarmee dürfte richtig viel Geld kosten. Doch kann Geldnot ein Grund sein, der Wehrungerechtigkeit auf Dauer rechtfertigen würde?

Natürlich müssten nicht alle Wehrpflichtigen durch Berufs- oder Zeitsoldaten ersetzt werden. Eine weitere Reduzierung der Truppenstärke von den jetzt vorgesehenen 250.000 Soldaten um bis zu 20.000 wäre durchaus möglich, ohne dass die Schlagkraft der Bundeswehr darunter leiden würde. Nur könnte das Personal eben nicht mehr gezogen, es müsste geworben werden. Zeitsoldaten müssten besser bezahlt werden als Grundwehrdienst Leistende.

Insgesamt dürfte das 800 Millionen Euro pro Jahr mehr kosten, sagen die Experten. Das muss klar sein, wenn die Kassierung der Wehrpflicht nicht gleichzeitig ein Vehikel zum weiteren Abbau der Streitkräfte sein soll. Wer die Wehrpflicht abschafft, muss der Bundeswehr mehr Geld geben.

Bundeswehr und demokratische Kultur

Strucks zweites Argument betrifft die Verankerung der Bundeswehr in der demokratischen Kultur. Gern erwähnt er die "geschichtlichen Erfahrungen und Befindlichkeiten", die Deutschland von Ländern mit ungebrochener Militärtradition unterscheide. Daraus spricht tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Kaste der Militärs. Die gab es einmal, sie gibt es schon lange nicht mehr. Nach 50 Jahren ist die Bundeswehr längst in der Gesellschaft angekommen. Und es gibt keine Anzeichen, dass sie sich von ihr wieder entfremden könnte.

Auch die innere Haltung einer Truppe hat wenig mit der Wehrpflicht zu tun. Was Struck insinuiert, wenn er die Gefangenen-Misshandlungen im Irak mit dem Umstand in Verbindung bringt, dass nur Berufssoldaten im Foltergefängnis dienten. Die innere Haltung der Truppe wird in einem auf Befehl und Gehorsam beruhenden System wesentlich von oben diktiert. Wie im Übrigen im amerikanischen Irak-Corps zu sehen. Deshalb muss man im Umkehrschluss auch nicht fürchten, dass die Bundeswehr zu einer menschenverachtenden Truppe degenerieren wird, wenn allein Freiwillige in ihr dienen. Struck sollte sich diesen Gedanken nicht länger versperren und mit dem Ausstieg aus der Wehrpflicht beginnen.

© SZ vom 26.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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