Kommentar:Vertrauenssache

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Gerhard Schröder ist weg. Als Parteivorsitzender. Als Bundeskanzler bleibt er, wahrscheinlich bis 2006 und möglicherweise auch darüber hinaus. Wer Schröders Auftritt beim Sonderparteitag in Berlin erlebt hat, der kann durchaus zu dem Schluss kommen, dass Union und FDP ein wenig zu selbstverständlich und vorschnell vom Machtwechsel 2006 reden.

Von Kurt Kister

Schröder nämlich hat am Tag seiner Abwahl seine beste Rede als Parteivorsitzender gehalten. Er hat den innenpolitischen Reformprozess seiner Regierung redlich begründet; er hat erklärt, wo Rot-Grün seiner Meinung nach die internationale Politik positiv beeinflusst hat, und er hat dies alles in die Reformgeschichte der SPD seit August Bebel gestellt.

Es war die Rede eines Mannes, der wohl auch erleichtert ist, den Parteivorsitz abgeben zu können. Aber es war genau so die Rede eines Regierungschefs, der die Kanzlerschaft behalten will und sie nicht freiwillig aufgeben wird. Dass Schröder diese Rede am Tag seines Abschieds vom Vorsitz gehalten hat, ist typisch für ihn und die Partei.

Bisher hat Schröder auf den Rednerpodien diverser Parteitage stets kämpfen müssen. Er hat geschrien,manchmal geschwitzt und war oft unsicher. Diesmal war er entspannt, und, wohl auch weil die Delegierten wussten, dass er geht, gab es eine bisher sehr selten gesehene Harmonie zwischen Schröder und dem Parteitag.

Doppelter Vertrauensverlust

Nun ist Franz Müntefering da. Als Fraktionschef der SPD im Bundestag und jetzt auch als Parteivorsitzender. Die Berliner Delegierten haben mit 95 Prozent der Stimmen sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass sie in dieser Zeit des Umbruchs und der Unsicherheiten einen Parteichef haben wollen, dem sie vertrauen. Das letzte Jahr der Amtszeit des Parteichefs Schröder war durch einen doppelten Vertrauensverlust gekennzeichnet.

Einerseits sahen immer mehr SPD-Mitglieder in ihrem Parteichef nur noch den Bundeskanzler, der unter Vernachlässigung etlicher sozialdemokratischer Grundwerte dem Land und auch der Partei eine umstrittene Reform aufzwingen will. Die Missstimmung gegenüber Schröder wurde durch das alte, zum großten Teil richtige Vorurteil verstärkt, dass für Schröder die SPD stets nur Vehikel zum Erfolg war.

Andererseits aber wuchs auch Schröders Misstrauen gegenüber der Partei. Teile der Funktionärsschicht sah er als Verhinderungskartell, das um der reinen Lehre willen notfalls auch ein Ende seiner Kanzlerschaft und damit der SPD-geführten Regierung in Kauf nehmen würde. In diesem Sinne hatten sich Partei und Parteichef auseinander gelebt, was von beiden Seiten zudem auch noch aktiv betrieben worden war. Schröder kämpfte, wenig erfolgreich, seit Monaten einen Zweifrontenkrieg um das Vertauen.

Das Ansehen der Bundesregierung steht in der Öffentlichkeit auf einem Tiefpunkt - was der Hauptgrund für die gegenwärtige Hausse der Union in den Umfragen ist. Die Union kann es nicht besser; ihr geht es nur so gut, so lange es der SPD so schlecht geht. Der SPD geht es auch so schlecht - dies war Schröders zweite Front - , weil sie die internen Debatten immer mehr als öffentliche Kriege ausfocht - auch und gerade gegen den Kanzlerparteichef Schröder. Schröders Entscheidung, in dieser prekären Lage den Parteivorsitz ab- und an Franz Müntefering weiterzugeben, war richtig. Der Sonderparteitag in Berlin hat dies bestätigt.

Biographie als Hauptqualifikation

Wenn es in der Politik so etwas wie Liebe gibt, dann liebt die Partei, die ganze Partei, ihren neuen Vorsitzenden Franz Müntefering - zumindest jetzt. Münteferings herausragende Qualifikationen für sein neues Amt sind nicht seine Organisationskraft, sein Durchsetzungsvermögen oder sein taktisches Geschick. Münteferings Hauptqualifikation ist vielmehr, so simpel das klingt, sein Leben.

Er ist ein unideologischer, aber sehr überzeugter Sozialdemokrat. Er ist kein selbstsüchtiger Bonvivant wie es seine beiden Amtsvorgänger Lafontaine und Schröder zumindest in den Jahren ihrer Erfolge waren. Er hat über Jahrzehnte seiner Partei gedient und er hat sich in ihr hoch gedient. Dienen ist ein Begriff, dem man mit einem SPD-Parteivorsitzenden zuletzt in Verbindung gebracht hat, als Hans-Jochen Vogel dieses Amt inne hatte.

Vor allem aber: Franz Müntefering genießt das Vertrauen der SPD. Und dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Partei sich wieder aufrappeln kann. Müntefering wird, auch wenn sich dies etliche Linke wünschen mögen, nicht als Anti-Schröder auftreten. Die Lage im Land, aber auch die politische Stimmung sind nicht so, dass die SPD wieder Mehrheiten gewinnen würde, wenn sie versuchte, die Oppositionspolitik der neunziger Jahre in Regierungspolitik für 2004 umzusetzen.

Müntefering wird nicht müde zu betonen, dass gerade er, ein eigentlich traditioneller Sozialdemokrat, voll und ganz hinter dem Reformkurs Schröders steht. Der neue Parteichef hat den Prozess des Umdenkens, den ein Teil der Partei noch vor sich hat, schon hinter sich.

Franz Müntefering genießt das Vertrauen der Partei. Gerhard Schröder wiederum genießt die Unterstützung und wahrscheinlich sogar das Vertrauen Franz Münteferings.

© SZ vom 22.03.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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