Kommentar:Verhandeln und Tee trinken

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Man kann dem CSU-Generalsekretär Markus Söder zu Gute halten, dass er noch nicht lange im Amt ist und nichts von Außenpolitik versteht. Aber bei der Europawahl im Juni wird nun wirklich nicht darüber abgestimmt, ob die Türkei in die Europäische Union aufgenommen wird oder nicht. Wer dies behauptet, der will Krawall: Krawall für den Wahlkampf, Polarisierung, innen- und außenpolitische Unruhe.

Von Stefan Kornelius

Überhaupt ist ein Hallodri, wer heute eine einfache Lösung für eines der schwierigsten außenpolitischen Probleme der nächsten Zeit verkündet. Aufnehmen oder draußen lassen: Vielleicht zeugt es ja von Meinungsstärke oder politischem Spielertum, wenn man hier und heute den Türken eine klare Antwort geben kann. Aber es muss nicht immer klug sein, sich zu einem frühen Zeitpunkt festzulegen - vor allem, wenn man nur eine Europawahl gewinnen oder ein paar Punkte in einem hoch aufgeladenen Meinungskampf machen will.

Vor der Aufnahme-Entscheidung für oder wider die Türkei steht ein selten komplexer und gefährlicher Abwägungsprozess. Da ist es hilfreich, dass die Auseinandersetzung inzwischen das Niveau von Kopftuch oder religiöser Überlegenheit verlassen hat, auch wenn mit diesem beliebten Totschlagargument am Ende immer wieder herumgeknüppelt wird. Man darf also von Markus Söder verlangen, sich ein bisschen mit den Fakten zu quälen - obwohl das Thema Türkei Irak-Qualitäten hat, will heißen: Es lassen sich mal wieder mit Außenpolitik Wählermassen bewegen.

EU entscheidet über ihr eigenes Überleben

Um die tatsächliche Fallhöhe deutlich zu machen, kann man gar nicht hoch genug klettern: Mit der Aufnahme der Türkei entscheidet die EU nämlich über nichts Geringeres als ihr eigenes Überleben. Aber da fängt das Problem schon an. Zu Grunde gehen kann die EU nämlich auf zweierlei Weise: Entweder sie übernimmt sich, glaubt an das grenzenlose Wachstum, verschiebt ihre bisher an Paris und Berlin ausgerichtete Mitte, leugnet ihre abendländisch-aufgeklärte Identität - und geht am Ende mit dem Mühlstein Türkei am Hals als erweiterte Freihandels-OSZE in die Geschichte ein.

Oder Szenario II: Die EU verschläft den zentralen Konflikt dieser abendländisch-aufgeklärten Welt mit dem Islam, mithin die Schicksalsfrage dieses Jahrhunderts - und strandet im geopolitischen Windschatten, ignoriert von der Supermacht USA, belächelt von den islamischen Nationen, mit brennenden Konflikten vor der eigenen Tür und zornigen Muslimen in den Vorstädten. Mit der Türkei als Mitglied hätte die EU eine Brücke bauen und ihre Werte hineintransportieren können in einen aufgeklärten Islam. Hätte - wenn die Aufnahme der Türkei nicht gescheitert wäre.

Beide Szenarien haben eines gemeinsam: Sie zeigen das gewaltige Risiko, das sich ergibt, wenn man die falsche Entscheidung trifft. Deswegen ist es nicht falsch, das eine oder andere Argument in den Prozess der Abwägung aufzunehmen und Zeit zu gewinnen, bis die Alternativen weniger dramatisch ausfallen. Hilfreich wäre es bei diesem Abwägungsprozess außerdem, sich über den tatsächlichen Zustand der Union und ihres potenziellen Mitgliedes einig zu sein.

Aber schon hier beginnt der politische Missbrauch: Erfüllt die Türkei nun die in Kopenhagen für eine Aufnahme neuer Staaten festgelegten Kriterien? Wie sieht es mit den Menschenrechten aus? Wie mit dem Einfluss des Militärs? Ist die stolze Nation tatsächlich bereit, souveräne Rechte abzugeben und Korruption, Bürokratie und Misswirtschaft auf ein verträgliches Maß zu reduzieren?

Andererseits die EU: Eine von Identitätskrisen gebeutelte Gemeinschaft, die ihre Erweiterung um zehn Staaten noch lange nicht verdaut hat. Gerade ist die Verfassung (als Regelwerk für die Machtausübung) an eben dieser Erweiterung gescheitert - zumindest vorläufig. Nun will sie sich wegen der Türkei in die wohl größte denkbare Zerreißprobe wagen und ein Land aufnehmen, das bald mehr Einwohner und damit ein höheres Stimmgewicht hätte als jede andere Nation?

Weitere Aspiranten vor der Tür

Ganz nebenbei: Zuvor würden noch Rumänien und Bulgarien Mitglied werden, außerdem klopft bereits der Balkan an. Israel fragt, mit welchem Recht es ausgeschlossen bleibe, und ehrlicherweise müsste sich die EU klar darüber werden, wie sie mit der Ukraine und - ja auch dies - Russland umgeht.

Die Türkei ist also nur begrenzt ein taugliches Thema des deutschen Europawahlkampfes, auch wenn das Parteistrategen gerne so sähen. Nebenbei wird über die Aufnahme auch in den anderen EU-Nationen entschieden, wo die Skepsis gewaltig ist. Wer heute also eine Entscheidung über die Türkei erzwingt, der treibt Europa in die Zerreißprobe und riskiert innenpolitische Spannungen, die - etwa in Deutschland - die Gesellschaft überfordern und ihre Begeisterung für Europa gefährlich dämpfen könnten.

Die Türkei selbst wird nicht zur Todesstrafe zurückkehren oder von radikalen Fundamentalisten überrannt werden, wenn sie die EU zunächst zurückweist. Und die USA werden am Beispiel der Türkei lernen müssen, dass die EU mehr ist als ein sicherheitspolitischer Zweckverband, der per Scheckbuch funktioniert. Die Aufnahme ist nämlich ein zu heikles Problem als dass man sie den Söders dieser Welt überlassen dürfte.

© SZ vom 17.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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