Kommentar:Überhitzte Statistik

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Mehr als 10.000 Menschen sollen in Frankreich wegen der Hitze gestorben sein. Mittlerweile ist dies ein Politikum auf höchster Ebene geworden. Aus Deutschland hingegen kommt Beschwichtigendes.

(SZ vom 22.08.2003) - In Frankreich und Deutschland wird zurzeit mit merkwürdigen Statistiken hantiert: Es geht um die Zahl der Menschen, die der Hitze dieses Sommers zum Opfer fielen. Mehr als 10.000 Menschen sollen es in Frankreich sein, die das Hoch Michaela dahingerafft hat - was dort mittlerweile ein Politikum auf höchster Ebene geworden ist.

Aus Deutschland hingegen kommt Beschwichtigendes. Hier und da, in Karlsruhe zum Beispiel, wo es zeitweise mehr als 40 Grad heiß war, seien einige Senioren im Altersheim gestorben. So liest sich die offizielle Darstellung hier zu Lande.

Unseriöser Umgang mit sensiblen Zahlen

In beiden Fällen wird mit sensiblen Zahlen auf unseriöse Weise umgegangen. Natürlich machen 40 Grad im Schatten das Leben älterer Menschen schwer und Flüssigkeitsmangel kann unter Umständen zum Tode führen. Doch da kommt viel zusammen: An Hitze stirbt man nicht wie an einer Gewehrkugel oder einem Autounfall.

So ist der in Frankreich zu hörende Vergleich mit einem "schweren Erdbeben" übertrieben. Es gibt keine 10.000 Menschen, die gerettet worden wären, hätte man nur besser vorgebaut. Hier schwingt die im Industriezeitalter gegorene, irrige Vorstellung mit, der Mensch könne mit genug Geld und Technik gegen jede Unbill der Natur gefeit werden.

In Deutschland hingegen lieferte die Hitze offenbar keinen Anlass, die ausreichende Gesundheitsversorgung von älteren Menschen anzuzweifeln. Dabei ist es kaum denkbar, dass deutsche Senioren weniger unter Hitze leiden als ältere Franzosen. Einen Effekt wird die alberne Zahlenspielerei hoffentlich haben: Die Zustände in Alters- und Pflegeheimen gehören so oder so längst überprüft. In Frankreich wie in Deutschland.

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