Kommentar:Triumph der Entführer

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Die Schüsse der US-Soldaten auf die befreite Journalistin Giuliana Sgrena scheinen die Vorurteile über eine arrogante Macht, die zu unkontrolliert schießt, zu bestätigen. Sie sind Schützenhilfe für die Terroristen.

Von Stefan Kornelius

Im Irak sind seit dem Sturz Saddam Husseins Tausende, wohl eher Zehntausende Menschen getötet worden: Zivilisten und Soldaten, Polizisten und Helfer, Geistliche und Politiker. Sie wurden von Bomben zerrissen, von Heckenschützen getötet, sie starben im Feuer der Besatzungstruppen oder wurden bestialisch von Entführern hingerichtet.

Erst im Irak entführt, dann von amerikanischen Soldaten angeschossen: die Journalistin Sgrena. (Foto: Foto: AP)

Die Toten sind meist anonym geblieben, sie flossen lediglich in die Statistik ein, die geführt wird, um den Grad an Instabilität des Landes und die Verrohung durch Krieg und Terror zu messen.

Nur wenige Schicksale fesseln die Aufmerksamkeit der Welt, weil ihre Geschichte sinnbildlich steht für einen wichtigen Ausschnitt aus diesem Krieg, und weil ihr Leid den alltäglichen Horror von Krieg und Terror sichtbar macht.

Da war die britische Hilfs-Aktivistin Margaret Hassan, deren Tod zeigen sollte, dass selbst die beste Absicht und die engste Verbindung zum Land nicht schützen können vor der Willkür des Terrors. Da waren der Amerikaner Eugene Armstrong oder der Brite Kenneth Bigley, deren per Video verbreitete Enthauptung Schock und Übelkeit in bis dahin ungeahntem Ausmaß auslöste.

Stimmung für Abzug anheizen

Und da ist nun das Schicksal der Italienerin Giuliana Sgrena, deren Entführung einen wichtigen Koalitionspartner der USA in Zweifel über das Engagement im Irak und in innenpolitische Turbulenzen stürzen sollte. Dieses Muster war bekannt - und es funktionierte wieder einmal nicht.

Sgrenas Entführer wollten mit Hilfe der dramatischen Appelle der Journalistin in Italien eine Stimmung für den Abzug der Italiener anheizen. Das ist ihnen nicht geglückt, weil die Regierung Berlusconi standhaft blieb.

Am Ende war die Geisel offenbar mit einer ordentlichen Summe Lösegeld zu befreien - vielleicht weil die Entführer gemerkt haben, dass die öffentliche Empörung abstumpft angesichts einer Flut an empörungswürdigen Bildern und Nachrichten.

Für diese Entführer wird es ein unerwarteter Triumph sein, dass nun die Amerikaner selbst dem Ziel der Terroristen gedient haben. Der Tod des Geheimdienstlers Calipari und die Umstände des Beschusses der gerade befreiten Journalistin durch amerikanische Soldaten werden den USA zumindest in Europa politischen Schaden zufügen und in Italien die Abzugsdebatte erneut anfachen.

Der Fall Sgrena bestätigt auf das Trefflichste so viele Vorurteile, dass alle in der letzten Zeit unternommenen Verständigungsversuche zwischen den USA und ihren Verbündeten leiden werden.

Die Umstände des Beschusses werden unterschiedlich dargestellt - das war nicht anders zu erwarten. Das US-Militär behauptet, das Auto der Italiener sei auf den Kontrollposten zugerast und habe entgegen der Aufforderung nicht gehalten.

Konspiratives Raunen

Sgrena behauptet, das Auto sei gar nicht schnell gefahren, und um einen Kontrollposten habe es sich auch nicht gehandelt. Das amerikanische Militär will von der Befreiung der Geisel überhaupt nicht informiert gewesen sein, die italienische Seite behauptet, sehr wohl im Kontakt gestanden zu haben.

Sgrena und ihr Umfeld raunen konspirativ und lassen bewusst den Eindruck aufkommen, es handele sich um einen gezielten Mordversuch. Ein glaubhaftes Motiv bleiben sie schuldig. Das US-Militär wird hingegen auf eine Verkettung unglücklicher Umstände hinweisen - unerfahrene Soldaten, die angespannte Atmosphäre in der Nacht, das schnelle Auto, der Mangel an Information.

Wer nun möchte, kann sich in all seinen antiamerikanischen Urteilen bestätigt sehen: die arrogante Macht, die zu schnell und zu unkontrolliert schießt und vermutlich auch alle Aufklärung vertuschen will.

Gerade in Italien fallen diese Argumente auf fruchtbaren Boden. Das Land erinnert sich gut an das Unglück von Cavalese 1999, wo US-Piloten mit einem Militärflugzeug die Seile einer Gondel zerschnitten und 20 Menschen in den Tod stürzten. Die Aufklärung des Unglücks verlief zäh, das Verfahren gegen die Piloten in den USA unbefriedigend.

Wie keine andere Entführung

Jenseits aller konspirativen und volkspsychologischen Stimmungen bleibt ein politischer Schaden, wie er noch durch keine andere Entführung verursacht wurde.

Washingtons wollte nach den erfolgreichen Wahlen das eigene Profil im Land reduzieren und die Bühne stärker den Irakern und der internationalen Gemeinschaft überlassen. Bushs Besuch in Europa sollte, unter anderem, diesen Strategiewechsel vorbereiten und auch die feindselige Stimmung ihm und seiner Regierung gegenüber ein wenig brechen.

All dies hat durch den Beschuss von Bagdad gelitten; aufzuhalten ist es aber nicht. Denn so tragisch und vermeidbar der Tod des italienischen Geheimdienstmitarbeiters war, so tragisch die Umstände des an sich glücklichen Endes einer Geiselnahme - die wichtigste politische Botschaft aus dem Irak kommt an diesem Wochenende aus dem Mund des schiitischen Großayatollahs al Sistani, der die Parteien seiner Glaubensrichtung ermahnte und auf politischen Fortschritt drängt:

Am 16. März soll endlich das neue Parlament zusammentreten und die Regierung die Arbeit aufnehmen. Nur sie können ein Klima schaffen, in dem eine Wiederholung des Falles Sgrena unwahrscheinlich wird.

© SZ vom 7.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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