Kommentar:Sozialistische Wärmestube

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Der beispiellose Aufstieg der PDS in den Umfragewerten täuscht über ihre Substanz hinweg.

Von Philip Grassmann

Es gibt im Moment wohl nur wenig, was Bundeskanzler Gerhard Schröder mehr verärgert als das Verhalten von CDU und PDS in den neuen Ländern. Zwar vermied der Kanzler beim ersten Auftritt vor der Presse nach der Sommerpause seinen Vorwurf, PDS und CDU hätten sich in ihrer Ablehnung der Hartz-IV-Reformen im Osten der Republik zu einer neuen Volksfront formiert.

Er sprach statt dessen nur von einem "merkwürdigen Verhinderungsbündnis". Doch die Botschaft des Kanzlers war klar: Wer die Ängste der Menschen vor den sozialpolitischen Umbrüchen nutzt, um daraus parteipolitischen Profit zu schlagen, schadet dem ganzen Land.

Schröders Verärgerung kommt nicht von ungefähr. Vor allem der PDS ist in den vergangenen Wochen ein beispielloser Aufstieg in den Umfragewerten gelungen.

In Brandenburg und Sachsen, wo am 19. September gewählt wird, ist die PDS derzeit zweitstärkste Partei, und sogar auf Bundesebene erreicht sie bisher unbekannte Rekordmarken.

Authentischer Protest

Geschickt hat die PDS es verstanden, den anschwellenden Protest gegen die Reformpolitik der Bundesregierung für sich zu nutzen. Sie profitiert dabei vor allem von zwei Dingen. Zum einen ist ihr Protest authentisch, anders als bei der CDU, die die Hartz-Reformen im Bundesrat mitbeschlossen hat.

Die PDS hat soziale Einschnitte stets als ungerecht abgelehnt. Zum anderen hat sie im Osten eine breite kommunale Basis. Sie bietet vielen verunsicherten Bürgern ihre Hilfe an, etwa beim Ausfüllen der Hartz-Fragebögen.

Die PDS hat damit an vielen Orten die Deutungshoheit über die Reformpläne der Bundesregierung, die sie für ihre Zwecke einzusetzen weiß.

In den Protesten manifestiert sich indes mehr als nur die Angst vor dem, was die Reformen bringen könnten. Dahinter steckt auch die Sorge, dass man 15 Jahre nach der Wende erneut als Verlierer dastehen, dass die eigene Biographie ein zweites Mal entwertet werden könnte.

Dazu kommt eine Mentalität, die immer noch erwartet, dass vor allem der Staat für das Wohl des Einzelnen verantwortlich ist. Die Enttäuschung darüber, dass die Bundesregierung generell diese Erwartung nicht erfüllt, treibt die Leute auf die Straße. Insofern sind die Arbeitsmarktreformen nur der Auslöser für die Protestwelle.

Die PDS hat sich politisch immer als Anwalt der Ostdeutschen präsentiert, und dies kommt ihr nun zugute. Der Höhenflug der Partei wird also noch einige Zeit andauern.

Doch mittelfristig liegt genau darin auch eine große Schwäche der PDS. Denn den Bürgern in Ostdeutschland geht es gegenwärtig nicht um Konzepte, sondern vor allem um Verständnis für ihre Lage.

Sie suchen Schutz und finden ihn in der sozialistischen Wärmestube der PDS. Aber dadurch entstehen noch keine langfristige Wählerbindungen. Die PDS ist eine Protest- und Stimmungspartei, die von den Ostdeutschen derzeit nicht an der Wirklichkeit, sondern hauptsächlich an ihren Parolen gemessen wird.

Dort, wo die PDS an der Regierung beteiligt ist und sich den Realitäten stellen muss, haben die Demoskopen ein ganz anderes Meinungsbild ermittelt. In Berlin kommt die Partei gegenwärtig nur auf 17 Prozent der Stimmen - und das, obwohl sich auch die Hauptstadtsozialisten an den Protesten beteiligen.

Doch in Berlin müssen die PDS-Senatoren die Umsetzung der Hartz-Reformen organisieren. Das ist ein wenig glaubwürdiger Spagat, der offensichtlich Stimmen kostet.

All dies legt den Schluss nahe, dass es sich bei dem Höhenflug der PDS nur um eine geliehene Stärke handelt. Derzeit sonnen sich die Parteifreunde noch im Glanz ihres Erfolges. Schon einmal gab es eine ähnliche Situation.

Vor der Bundestagswahl 2002 deutete noch bis wenige Monate vor dem Wahltermin alles auf einen Wiedereinzug in den Bundestag. Am Ende scheiterte die Partei jedoch an der Fünf-Prozent-Hürde.

© SZ vom 19.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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