Kommentar:Schröders letzte Hoffnung

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Nach dem Wahldebakel versucht sich die SPD mit Vergleichen zum Fußball Mut zu machen. In der SPD aber ist weit und breit kein Zidane in Sicht, und der Mannschaftskapitän Gerhard "Acker" Schröder ist nur noch Schützenkönig in der Wertung der Eigentore.

Von Kurt Kister

"Ich darf mich auf das Spiel von gestern Abend berufen", sagte Franz Müntefering am Montag, "die 90. Minute kann noch viel bringen." Am Sonntagabend erlebte nicht nur die SPD ihr Wahldebakel, sondern England verlor auch noch durch zwei sehr späte Tore von Zinedine Zidane 2:1 gegen Frankreich.

Weil Müntefering ein gescheiter und ehrlicher Politiker ist, weiß er selbst, wie sehr sein Vergleich hinkt. Zidane ist zurzeit der weltbeste Fußballspieler. In der SPD aber ist weit und breit kein Zidane in Sicht, und der einst semizidanische Mannschaftskapitän Gerhard "Acker" Schröder ist in der Berliner Politliga nur noch Schützenkönig in der Wertung der Eigentore.

Der Kampf ums Überleben hat begonnen

Für die SPD hat der Kampf ums Überleben begonnen - und zwar nicht nur in ihrer Funktion als Regierungspartei. Noch nie zuvor seit 1949 ist eine Volkspartei so kontinuierlich und so schnell so tief gestürzt. In vielen Wahlbezirken quer durch Deutschland haben vier Fünftel der Wähler die SPD nicht gewählt; in etlichen Nachbarschaften liegen PDS oder Grüne vor der SPD.

Dies verdeutlicht den dramatischen Vertrauensverlust der Regierungspartei SPD und ihres Frontmannes Gerhard Schröder. Die Partei wird allmählich zerrieben zwischen den Erwartungen der einstigen Stammwähler nach einer sozialen, "linken" Politik und den Enttäuschungen jener Wechselwähler, die sich von Schröder eine entschiedene, zumindest aber professionell angegangene Reformpolitik erhofft haben.

Die einen gehen nicht mehr wählen, die anderen wenden sich volens den Grünen oder nolens der Union zu. In diesem Zustand stolpert die SPD in eine Serie von Wahlen, die bis zum Herbst 2005 andauern wird. Im schlimmsten Fall kann die Partei nach dem Machtverlust in ein Schisma geraten, das ihre Rückkehr in die Regierung für mindestens zwei Legislaturperioden ausschließt.

Agenda 2010 - verunglückt und kein neues Godeberg

Die Agenda 2010 war auch der verunglückte Versuch, der SPD ein neues Godesberg aufzuzwingen. Jener Teil der Mitglieder und Anhänger, dessen politische Grundmuster aus dem bundesrepublikanischen Wohlfahrts- und Verteilungsstaat der Vorwende-Zeit stammen, sollte durch die "objektive Notwendigkeit" (Schröder) der Reform überzeugt oder wenigstens überfahren werden. Dies ist gescheitert, weil die Traditionalisten befürchten, dass der Kanzler und die Seinen die Axt an die Grundwerte der Partei legen. Zu allem Überfluss konnte man dabei auch noch beobachten, dass Schröder & Co. oft nicht einmal wussten, wie man eine Axt hält.

Anders als für die SPD bedeuten die Ergebnisse des Sonntags für die Union keine Flammenschrift an der Wand. Die Konservativen haben allüberall gewonnen, auch wenn sie hie und da auf hohem Niveau ein paar Prozente verloren haben. Wer bisher noch Zweifel hatte, dass Angela Merkel spätestens 2006 Kanzlerkandidatin wird, kann diese Zweifel nun beiseite legen. In Bayern gab es für die CSU bei der Europawahl im Vergleich zur Landtagswahl eine kleine Delle. Die aber ist groß genug, dass Merkel und die Ihren sie grinsend als erhebliche Wertminderung des Ansehens von Edmund Stoiber registrieren.

Stoiber hat den Zenit seiner Bedeutung überschritten

Stoiber hat den Zenit seiner Bedeutung in der Union überschritten. Am Freitag wurde er im Bundesrat von der CDU-Riege ostentativ ausgebremst. Für weitere Verwendungen (Bundespräsident, EU-Kommission) steht er nicht zur Verfügung. Dies hat damit zu tun, dass er glaubt, zurzeit könne nur er in der Personalunion Parteichef und Ministerpräsident der CSU innerhalb der Union das nötige Gewicht verleihen. Das war wohl richtig bis 2003. Jetzt aber, um eine Anleihe bei Ronald Reagan zu machen, kann es sein, dass Stoibers langer Ritt in den Sonnenuntergang begonnen hat. Ist ja auch schön, bis 2008 Bayern zu regieren.

Das dritte bemerkenswerte Ergebnis des Wahlsonntags ist die erneute Bestätigung der Grünen als dritte politische Kraft in Deutschland. Zwar hat die FDP mit ihrer Europa-Spitzenkandidatin einen Achtungserfolg errungen. Dennoch liegt die Westerwelle-Partei vielerorts immer noch näher am Status einer gut genährten Splitterpartei. Die FDP profitiert nicht oder kaum vom katastrophalen Zustand der SPD. Mangels eigenem Profil liegt ihre Hauptberechtigung immer noch darin, Koalitionspartner für die Union zu sein. Wenn Westerwelle, der 18-Prozent-Guido a.D., nicht alle Vorurteile über sich bestätigen will, wird er in den Bundestagswahlkampf mit einer Koalitionszusage ziehen.

Die Grünen sind gut für ein niedriges zweistelliges Ergebnis

Die Grünen aber sind im Bund gut für ein niedriges zweistelliges Ergebnis. Ihr einstiges Etikett "Chaotenverein" hat sich längst die SPD selbst aufgeklebt. Und die Grünen haben es geschafft, als Auch-Funktionspartei trotzdem ihr eigenes Profil auszubauen. Dies relativiert den alten Koch-und-Kellner-Vergleich Schröders. Ohne den Kellner Joschka wäre der Koch Schröder schon 2002 arbeitslos geworden. Andererseits ist eine schwarz-grüne Koalition im Bund mit dem jetzigen Personal ausgeschlossen.

In diesem Sinne werden sich die Lager bis 2006 noch verfestigen. Wenn der Aufschwung nicht oder nur zögerlich kommt, sind die Grünen und ihr Oberkellner Fischer Schröders letzte Hoffnung. Vielleicht gewinnen sie genug, um die Verluste der SPD wettzumachen.

© SZ vom 15.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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