Kommentar:Rückzug ohne Reue

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Im Streit um das Weltstrafgericht haben die USA nur aus taktischen Gründen eingelenkt. Denn nach dem Folterskandal von Abu Ghraib wäre es denkbar schlecht eine Sonderrolle in den Vereinten Nationen zu spielen. Schließlich braucht die Bush-Regierung Hilfe beim Wiederaufbau im Irak.

Von Stefan Ulrich

Wer wissen wollte, was die Welt mit der Regierung Bush erleben würde, der musste nicht bis zum Irak-Konflikt warten. Washington hatte schon vorher, im Frühsommer 2002, eine Kostprobe seines neuen Politikstils gegeben. Damals setzten die USA mit Erpressung und Brachialgewalt eine Resolution im UN-Sicherheitsrat durch, die ihren Soldaten fürs Erste Immunität vor dem Weltstrafgericht verschaffte. Die US-Regierung verhielt sich damals ideologisch verbohrt, rücksichtslos und rechtsvergessen. Genauso zog sie dann in den Irak.

Nun haben die Vereinigten Staaten darauf verzichtet, über eine Verlängerung dieser Resolution abstimmen zu lassen. Der Schritt folgte nicht besserer Einsicht. Die USA wollten schlicht vermeiden, bei der Abstimmung durchzufallen. Der Zeitpunkt ist nämlich denkbar schlecht, sich erneut ein Sonderrecht gegenüber dem Völkertribunal zu ertrotzen: Die Folterszenen von Abu Ghraib haben sich ins Weltbild über Amerika eingebrannt. Die Folter-Gedankenspiele einiger Verantwortlicher in Washington auch. Zudem brauchen die USA im Irak Hilfe, besonders die der Vereinten Nationen. Ein Zerwürfnis im Sicherheitsrat war daher nicht opportun.

Über Amerika soll nur Gottvater stehen

Nur: Die Bush-Regierung wäre sich nicht treu, wenn sie ihrem Einlenken nicht sogleich Drohungen hinterherschickte. Nun werde genau überprüft, ob sich Amerika noch an UN-Friedensmissionen beteiligen könne, heißt es. Schließlich müssten US-Bürger vor "irregeleiteter Strafverfolgung" geschützt werden.

Hat hier also Prinzipienreiterei der Gerichtshof-Freunde großen Schaden angerichtet? Wird die Weltgemeinschaft auf den starken Arm der Weltmacht verzichten müssen, wenn es gilt, Konflikte zu entschärfen? Mitnichten. Zum einen sind die Amerikaner schon bisher nicht aus reiner Menschenliebe ausgerückt. Spätestens seit Somalia wird vor jedem Einsatz genau überlegt, ob er den nationalen Interessen dient. Das wird auch künftig der Fall sein. Washington wird sich wegen Den Haag nicht abhalten lassen, einzugreifen, wenn es das für nötig hält.

Zum anderen haben selbst Hardliner erkannt, dass das Tribunal nicht das Monstrum ist, zu dem es die Neokonservativen aufgeblasen haben. Es will nicht die Amerikaner ärgern, sondern dort für Gerechtigkeit sorgen, wo schrecklichste Taten wie Völkermord begangen wurden und kein Richter da ist, sie zu ahnden. Doch warum, mag man fragen, haben sich Staaten wie Deutschland dem Immunitätsbegehren verweigert, wenn die USA ohnehin nichts zu befürchten haben? Weil es um die Glaubwürdigkeit des Gerichts geht und um den Grundgedanken des Völkerrechts: die Staatengleichheit. Für die US-Regierung ist das Völkerrecht eine gute Sache - zur Disziplinierung anderer. Über Amerika aber soll nur Gottvater stehen. Diese Haltung können selbstbewusste Nationen nicht akzeptieren. Und das Weltgericht muss damit leben, dass der Grundkonflikt in seinen Hallen ausgefochten wird.

© SZ vom 25.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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