Kommentar:Rückkehr der Vulgär-Keynesianer

Lesezeit: 2 min

Der Abschied von der Sparpolitik ist angesichts der Begehrlichkeiten vor den Wahlen der falsche Weg.

Von Andreas Hoffmann

Aus und vorbei. Rot-Grün will eines seiner Markenzeichen endgültig zu Grabe tragen: jenes Aushängeschild, mit dem Finanzminister Hans Eichel die Koalition nach dem Abgang von Oskar Lafontaine stabilisiert hat, das Ziel, das die Spitzen von SPD und Grünen in vielen Reden als alternativlos bezeichnet haben - den Sparkurs.

Nun wollen sie ihre früheren Worte vergessen machen. Schluss mit Kürzen und Konsolidieren. Das bringt dem Land nicht das nötige Wachstum, weiß Außenminister Joschka Fischer. Schön, dass die Sachlage so einfach ist. Der Staat gibt mehr Geld aus, und schon rauchen die Schornsteine. Applaus. Der Vulgär-Keynesianismus eines Oskar Lafontaine lässt grüßen.

Depression, die Lieblingstugend der Deutschen

Natürlich gibt es Gründe für den Kurswechsel. Die Wirtschaft lahmt, der seit Monaten herbeigeredete Aufschwung stellt sich nur zögerlich ein. In den Köpfen der Menschen - mögen es Arbeitnehmer, Unternehmer oder Banker sein - hat sich Depression festgesetzt, die Lieblingstugend der Deutschen.

Man hat Angst vor der Zukunft und spart. Und spart. Und spart. Investitionen bleiben aus, Kredite fließen zögerlich. Eine solche Angststarre aber bremst die Konjunktur. Insofern scheint es vernünftig zu sein, wenn der Staat Geld ausgeben will, um diese Beklemmung zu lockern.

Weitere Motive für den Kurswechsel lassen sich finden. Der Aufstieg Deutschlands gründete sich nie auf Rohstoffen; der Erfolg war ein Produkt der Köpfe dieses Landes, gut ausgebildeter Arbeitnehmer und innovativer Unternehmer. Mittlerweile steht es schlecht um Bildung und Erfindungsreichtum. Diese Tugenden hat aber nötig, wer auf den Weltmärkten bestehen will.

Milliarden für Schulen, Universitäten und Forschungslabors

Nur qualifizierte Beschäftigte und Unternehmer schaffen konkurrenzfähige Güter und Dienstleistungen. Einen Dumping-Wettbewerb um den niedrigsten Unternehmenssteuersatz und die geringsten Sozialleistungen kann Deutschland ohnehin nicht gewinnen; das Land muss sich auf seine Stärken besinnen.

Weitere Milliarden für Schulen, Universitäten und Forschungslabors könnten demnach gut angelegt sein - als Zukunftsinvestition. Aber wird es so kommen?

Vermutlich nicht. Die Staatsgelder werden wahrscheinlich anders angelegt. Die Gefahr dieses Kurswechsels liegt darin, dass er als falsches Signal wahrgenommen wird. Dass Gewerkschafter und Traditionalisten von SPD und Grünen nun über einen Sieg frohlocken, weil die Agenda 2010 der falsche Weg gewesen sei und jetzt die Umkehr eingeläutet werde. Sie werden bald munter diskutieren: Warum eigentlich soll die Regierung bei Rentnern, Patienten oder Arbeitslosen sparen, wenn plötzlich genug Geld da ist?

Warum all die Zumutungen, wenn sich im Bundeshaushalt womöglich rekordverdächtige Schulden anhäufen? SPD und Grüne werden an die nahenden Wahlen denken; man wird abmildern, zurücknehmen, nachbessern. Das wäre ein schlechter Weg. Noch haben die Agenda-Reformen kaum begonnen zu wirken.

© SZ vom 3. Mai 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: