Kommentar:Merkels Desaster-Sieg

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Die Union ist knapp stärkste Fraktion geworden - nicht wegen, sondern trotz Angela Merkel. Noch hält die siegreiche Verliererin an ihrem Führungsanspruch fest, noch akzeptiert sie nicht diese persönliche Niederlage. Noch.

Kurt Kister

Am Tag nach der Wahl sind sehr viele Fragen offen, zwei aber sind eindeutig beantwortet. Die erste Antwort: Eine klare Mehrheit der Deutschen wünscht keine Fortsetzung der rot-grünen Regierung. Dies ist wenig überraschend und die Endorphin-Auftritte des großen Zampano Schröder können darüber auch nicht hinwegtäuschen. Die zweite Antwort aber hat in ihrer Klarheit die politische Klasse und speziell das Unions-Lager nebst all seinen publizistischen Sommergästen erschüttert: Eine ebenso klare Mehrheit will nicht, dass Angela Merkel Kanzlerin der Bundesrepublik wird.

"Angela Merkel erkennt wie Heide Simonis nicht, dass es Niederlagen gibt, die im Gewand des Sieges daherkommen." (Foto: Foto: dpa)

Der Absturz von CDU (und auch CSU) ist nur zu einem geringen Grad mit dem taktischen Verhalten jener Unionswähler zu erklären, die mit ihrer Zweitstimme für die FDP Schwarz-Gelb sichern wollten. Angela Merkel hat mit 35,2 Prozent "eine Niederlage errungen", um dies in den unsterblichen Worten ihres einstigen Förderers Helmut Kohl zu sagen, die angesichts der Umstände beispiellos ist in der Geschichte der Union. Ja, es gab schon schlechtere Resultate: 1949, als Deutschland noch in Trümmern lag und kaum jemand wusste, was werden sollte; sowie 1998, als eine Mehrheit nach 16 Jahren Kohl die Union nur noch tief in der Opposition versenken wollte.

Ein neues Kapitel im Buch "Wie organisiere ich große Niederlagen"

2005 aber gab es eine rot-grüne Regierung, die spätestens am 22.Mai ihr Verfallsdatum überschritten hatte, einen vom so genannten bürgerlichen Lager beherrschten Bundesrat und eine CDU, die monatelang gleich auf mehreren Siegerstraßen auf das Kanzleramt zuzumarschieren schien. In einer solchen Situation dann mit 35,2 Prozent zu enden, fügt dem Buch "Wie organisiere ich große Niederlagen?" wahrlich ein bedeutendes neues Kapitel hinzu.

Es gibt viele Teilerklärungen dieses Absturzes: Schröders Charisma, der Kirchhof-Flop, das Unbehagen über Schwarz-Gelb mit Westerwelle, die konditionierte Unterstützung durch schwarze Länderfürsten. Genauso wichtig war auch die Tatsache, dass es eine Wechselstimmung weg von Rot-Grün, aber nicht hin zu Schwarz-Gelb gab.

Die Union ist stärkste Fraktion - nicht wegen, sondern trotz Merkel

Trotz alledem aber trägt das Desaster der Union einen Namen: Angela Merkel. Noch nie zuvor hat ein Kanzlerkandidat der Union und (mit Ausnahme Lafontaines im sehr besonderen Jahr 1990) auch keiner der SPD ein Ergebnis hinnehmen müssen, das so weit von den Möglichkeiten der Partei und den eigenen Ansprüchen entfernt lag, wie dies Merkel jetzt widerfuhr.

Gewiss doch, die Union ist um Haaresbreite stärkste Fraktion geworden - allerdings nicht wegen, sondern trotz ihrer Spitzenkandidatin. Weil die Aussicht auf eine Regierung Merkel/Westerwelle die Leute offenbar verschreckt hat, ist die SPD in einer ganzen Reihe von Bundesländern wieder stärkste Partei geworden, darunter auch im so wichtigen Nordrhein-Westfalen. Sogar in Bayern ist die CSU unter 50 Prozent gefallen, was im Freistaat fast so viel bedeutet, wie wenn anderswo Rot-Grün die Regierung übernimmt.

Apropos Bayern: Vor drei Jahren hat Edmund Stoiber seiner Rivalin Merkel die Kanzlerkandidatur entwunden, auch weil er sie für ungeeignet hielt, im Duell gegen Schröder zu bestehen. Stoiber verlor damals knapp. Heute steht er vor einer Situation, in der die CSU in jeder realistischen Regierungskonstellation im Bund erheblich an Bedeutung einbüßen wird - ein Albtraum für die Erben von Franz Josef Strauß. Andererseits ist der Nimbus der CSU in Bayern stark angekratzt, auch wenn Stoiber bei jeder Gelegenheit sagt, die CSU habe ein viel besseres Ergebnis erreicht als jeder CDU-Landesverband im Rest der Republik.

Kanzlerkandidatin Merkel während der Pressekonferenz in Berlin. (Foto: Foto: dpa)

Angela Merkel erinnert an Heide Simonis

Noch hält die siegreiche Verliererin Merkel mit aschfahlem Gesicht an ihrem Führungsanspruch fest. Sie erinnert dabei an Heide Simonis, die auch nicht erkannte, dass es Niederlagen gibt, die im Gewand des Sieges daherkommen. Und wie Simonis kann es Merkel passieren, dass sie stürzt, weil sie einer aus den eigenen Reihen zu Fall bringt. Bei Merkel allerdings wird das, wenn es denn passiert, nicht nur einer sein. Die Generation Koch wird sich im Zweifelsfall so vor Merkel stellen, wie dies Brutus bei Cäsar getan hat.

Es ist nicht unbedingt so, dass dringend einer aus dieser Generation jetzt Kanzler werden will. Aber Wulff, Koch und Oettinger, ein wenig Erwin Huber und auch der gar nicht gütige Onkel Edmund werden nicht tatenlos zusehen, wie sich die gescheiterte Wendekanzlerin Merkel gegen den kraftprotzenden Spieler Schröder in Koalitionsbildungsversuchen verkämpft, die das verbliebene Ansehen der Union noch weiter beschädigen.

Der hauchdünne Sieg ist die persönliche Niederlage von Merkel

Angela Merkel steht seit Sonntagabend zur Disposition. Wenn ohne sie ein Ausweg aus der schwierigen Situation leichter erscheint, wird man ihr die seidene Schnur bringen. Sie könnte dem zuvorkommen, indem sie von sich aus den Platz an der Spitze räumt. Das aber würde voraussetzen, dass sie den hauchdünnen Sieg der Union als das erkennt, was er eben auch ist: ihre persönliche Niederlage.

Angela Merkel hat nicht gesiegtverloren, weil sie eine Frau ist, aus dem Osten kommt oder oft griesgrämig dreinschaut. Die klare Mehrheit der Deutschen traut ihr schlichtweg nicht zu, dass sie mit ihren Überzeugungen und dem Personal, das sie präsentiert hat, das Land als Bundeskanzlerin besseren Zeiten zuführen kann. Sie hat die wirkliche, die einzig echte Vertrauensfrage verloren.

© SZ vom 20.09.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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