Kommentar:Kutschma kuscht

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Beim Kompromiss in Kiew setzt sich Juschtschenko weitgehend gegen den Präsidenten durch.

Von Thomas Urban

Sind die Novelle des Wahlrechts, die groß angelegte Manipulationen erschweren soll, und eine Verfassungsänderung nur ein weiteres taktisches Manöver von Präsident Leonid Kutschma? Versucht er, die ukrainische Opposition um den Reformer Viktor Juschtschenko doch noch zu spalten, oder handelt es sich um einen echten Kompromiss?

Vieles spricht dafür, dass Juschtschenko tatsächlich Grund zu Optimismus hat. Denn er hat Kutschma ein wichtiges Zugeständnis abgerungen: die Verfassungsänderung, die entscheidende Machtbefugnisse vom Präsidenten auf Parlament und Regierung verlagern soll, wird frühestens im Herbst 2005 in Kraft treten.

Kutschma hatte zunächst verlangt, dass sie sofort gelten solle. Dies hätte bedeutet, dass Juschtschenko nach einem Sieg bei der Wiederholung der Präsidentenwahl am 26.Dezember gegen Noch-Regierungschef Viktor Janukowitsch kaum noch Einfluss auf die Regierungspolitik nehmen und somit sein Programm zur Demokratisierung des Landes nicht durchsetzen könnte.

Denn im Parlament stellt das Präsidentenlager seit den Wahlen 2002, bei denen bereits kräftig manipuliert wurde, knapp die Hälfte der Abgeordneten. Der neue Regierungschef wäre dann also vermutlich ein Gefolgsmann Kutschmas. Bei dem nun vereinbarten Zeitplan aber wird Juschtschenko genug Spielraum für wichtige Weichenstellungen bekommen.

Offenbar sah sich Kutschma zu dem Kompromiss gezwungen. Denn außer auf knapp die Hälfte der Abgeordneten kann er sich auf niemanden mehr stützen. Seine seit langem schwelenden Differenzen mit dem von ihm persönlich wohl nie sonderlich geliebten Janukowitsch - einem Vertreter des Donezker Industriellenclans - sind nun offen ausgebrochen.

Janukowitsch gegen Kutschma

Janukowitsch, den Kutschma wegen des Wahlkampfes als Regierungschef beurlaubt hat, lässt sogar verkünden, er stehe in Opposition zum Präsidenten. Dieser will überdies offenbar auf die angebotene Schützenhilfe aus Moskau im Kampf gegen Juschtschenko verzichten.

Er müsste Zugeständnisse machen, welche die Abhängigkeit der Ukraine vom größeren Bruder Russland noch verstärken würden. Und dies wäre sicherlich nicht in Kutschmas Sinne.

Zwar ist Oppositionsführer Juschtschenko wegen des Kompromisses auf den heftigen Widerspruch seiner Mitstreiterin Julia Tymoschenko gestoßen. Doch von einer Spaltung der Opposition kann keine Rede sein. Die frühere Vizeministerpräsidentin, die sich mit einem Plan zur Deregulierung des Energiesektors die ostukrainischen Oligarchen zum Feind gemacht hat, hatte von Anfang an die Aufgabe, die radikale Opposition mit scharfer Rhetorik bei der Stange zu halten.

Es sieht also danach aus, dass Juschtschenko einen weiteren Etappensieg verbuchen kann. Bislang hat er im Kampf um faire Präsidentenwahlen in der Ukraine noch keine schweren Fehler gemacht. Nun muss er noch zweieinhalb Wochen durchhalten.

© SZ vom 9.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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