Kommentar:König ohne Volk

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Die Israelis haben ihn zum König ohne Reich gemacht, nun riskiert er, auch sein Volk zu verlieren. Palästinenser-Präsident Jassir Arafat droht die Despotendämmerung - das ist überfällig, aber auch gefährlich.

Von Peter Münch

Unter den Palästinensern kursiert ein böser Witz über Jassir Arafat, der sich an eine bizarre Begebenheit anlehnt. Als Israels Armee die Mukata, sein Hauptquartier in Ramallah, in Schutt und Asche gelegt hatte, präsentierte sich ein derangierter Präsident in seiner notorischen Pose: mit breitem Grinsen und den zum Victory-V gespreizten Fingern.

Sieg? Nein, Sieger sehen anders aus, unkt sein Volk. Zwei Zimmer sind noch übrig - das habe Arafat anzeigen wollen.

Viel Wahrheit steckt in diesem Witz. Abu Ammar, wie Arafats Kampfname lautet, ist zum König ohne Reich geworden. Dafür haben die Israelis gesorgt. Doch nun droht er auch noch zu einem König ohne Volk zu werden.

Hinter seinen Posen steckt nichts mehr

Dafür ist er selbst verantwortlich. Denn schon seit langem konnte jeder sehen, dass hinter seinen Posen rein gar nichts mehr steckte - keine Programme, keine Ideen, keine Visionen.

Arafat, der seit 40 Jahren für Palästina kämpft, ist ausgebrannt. Er selbst will es nicht wahrhaben. Doch die Palästinenser wissen es, weil sie den Preis dafür zu zahlen haben.

Während er und seine Hofschranzen hochtourig im Leerlauf den permanenten Befreiungskampf inszenieren, verharrt das Volk in Elend, Arbeits- und Perspektivlosigkeit. Im Gaza-Streifen, wo nun ein Aufstand gegen Arafat losbrach, ist das noch deutlicher zu spüren als im Westjordanland.

Der Ausnahmezustand ist bereits Normalzustand

Der Ausnahmezustand, den der Präsident als Reaktion auf die Gewalt nun ausrief, ist dort de facto der Normalzustand: Mindestens die Hälfte der Menschen ist arbeitslos, drei Viertel der 1,3Millionen Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze.

Das ist Sprengstoff - und Israels angekündigter Rückzug aus Gaza ist die Lunte, die nun zu einer Explosion führen könnte. Hinter dem Aufstand steht nämlich die Frage, wer in Gaza das Machtvakuum füllen wird, das die abziehenden Besatzer hinterlassen. Arafat hatte mit der verunglückten Berufung seines Cousins zum Sicherheitschef die Kontrolle über den Landstreifen zementieren wollen.

Doch in Gaza erwarten ihn starke Gegner: nicht nur die Hamas, sondern auch Teile seiner eigenen Fatah.

Ein Machtkampf der Generationen

Die Linien in diesem inner-palästinensischen Konflikt sind verworren: Es herrscht eine vorrevolutionäre Stimmung - das verarmte Volk ist einer korrupten Herrscherclique überdrüssig. Es tobt ein Machtkampf der Generationen - die Jungen fordern die Alten aus der Tunis-Clique um Arafat heraus. Und es geht um die Ausrichtung der Gesellschaft - säkular oder islamistisch.

Gut möglich, dass damit auch für den Überlebenskünstler Arafat nun die Despotendämmerung eingesetzt hat. Doch so wünschenswert dies für sich allein genommen wäre, so gefährlich ist es auch: Denn bedrängt wird Arafat nicht von Weltverbesserern und Friedensfreunden, sondern vor allem von Radikalen.

Niemand kann sagen, wie ein solch vielschichtiger Machtkampf ausgeht. Doch auf dem Weg zur Klärung könnte er leicht zum Bürgerkrieg eskalieren.

© SZ vom 20.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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