Kommentar:Klartext für den Kreml

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Präsident Bush wendet sein Demokratie-Dogma nun auch auf seinen alten Freund Putin an.

Von Wolfgang Koydl

Es ist eine Frage, die so alt ist wie Russland selbst, eine Frage, die russische Intellektuelle seit jeher umtreibt, ohne dass sie eine Antwort gefunden hätten. Es ist die Frage, wohin Russland gehört.

Ist es ein Teil Europas? Gehört es zu Asien? Oder ist es auf Dauer dazu verbannt, im Schwebezustand irgendwo dazwischen zu verharren?

Nun hat jemand eine Antwort auf diese Jahrhundertfrage gefunden, von dem man es am wenigsten erwartet hätte: George W. Bush.

Der US-Präsident verkündete, dass Russlands "Zukunft in der europäischen Familie und der transatlantischen Gemeinschaft" liege - vorausgesetzt, Moskau erfüllt einige wesentliche Voraussetzungen und Bedingungen wie Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit sowie andere wesentliche Attribute einer funktionierenden Demokratie.

Langes Ringen

Mit diesen deutlichen Worten hat Bush seinen einstigen Seelenbruder Wladimir Putin zwei Tage vor seinem Treffen mit ihm daran erinnert, dass der Kreml-Chef eigentlich als Reformer angetreten war, doch mittlerweile immer weiter vom Pfad demokratischer Tugenden abgewichen ist.

Der US-Präsident hat lange gebraucht, bevor er sich dazu durchrang. Er sprach noch immer in den höchsten Tönen von seinem Verhältnis zu dem Russen, derweil Putin die Tage und Wochen vor dem Gipfel von Bratislava ausgiebigst nutzte, um Bush nach Art einer Voodoo-Puppe mit gezielten Nadelstichen zu malträtieren: Raketen für Syrien, Atomkooperation mit Iran, gemeinsame Militärmanöver mit China.

Nun aber hat Washington klargestellt, dass Putin sich bei seiner Begegnung mit Bush auf harte Mahnungen einstellen muss. Ein weiteres Signal war Bushs Treffen in Brüssel mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko.

Beispielnahme am Vorbild Reagan

Ominös stellten amerikanische Regierungsvertreter zudem eine "Vertiefung der Beziehungen" zwischen Kiew und dem nordatlantischen Bündnis in Aussicht. Das klingt nach einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine - ein Albtraum für Moskau.

Zugleich gelang es Bush, Kritiker zum Schweigen zu bringen, die gefragt hatten, wie sich denn seine neue Doktrin von der Verbreitung der Freiheit und der Demokratie mit seinem samtpfötigen Umgang mit Moskau vereinbaren lasse.

Nun ist es klar: Der US-Präsident sieht keinen Widerspruch darin, mit dem zunehmend autokratisch agierenden Putin zu verhandeln und ihn zugleich an seine demokratischen Verpflichtungen zu erinnern.

Er nimmt sich dabei ein Beispiel an seinem Vorbild Ronald Reagan. Auch der hatte die Kontakte zum "Reich des Bösen" nie abreißen lassen. Bush freilich nimmt nun auch die Europäer in die Pflicht: Die EU-Staaten, so mahnte er, müssten Reformen in den Mittelpunkt ihres Dialoges mit Russland stellen.

Was das für die Männerfreundschaft zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin bedeutet, kann der Kanzler ja Bush in Mainz fragen. Vielleicht weiß der Präsident auch darauf eine Antwort.

© SZ vom 23.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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