Kommentar:Jedem eine Wanze

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Noch mehr Lauschangriff: Was die SPD neuerdings unter Verteilungsgerechtigkeit versteht.

Von Heribert Prantl

Künftig sollen alle abgehört werden - auch Rechtsanwälte und Ärzte, Psychologen und Journalisten, Steuer- und Drogenberater; und wenn es sein muss, sogar die Pfarrer im Beichtstuhl und die Strafverteidiger im Gespräch mit dem Mandanten.

Vor der Wanze sind nämlich alle gleich: So will es Bundesjustizministerin Zypries, so steht es im neuen Gesetzentwurf über den großen Lauschangriff. Es stimmt also nicht, dass die SPD-geführte Regierung Abschied genommen hat von der Verteilungsgerechtigkeit; das ist nur im Bereich der Sozialpolitik so. Im Bereich der inneren Sicherheit werden Wanzen freigiebiger verteilt als bisher.

1998, damals war die SPD in der Opposition, hat sie in harten Verhandlungen mit der CDU/CSU und dem damaligen Innenminister Manfred Kanther erzwungen, dass die so genannten Berufsgeheimnisträger nicht per Wanze belauscht werden dürfen; ansonsten hätten die Sozialdemokraten der Grundgesetzänderung nicht zugestimmt.

Ziemlich schwammige Voraussetzungen

Nun soll der Lauschangriff auf die geschützten Berufsgruppen ausgedehnt werden, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Wer im Strafprozess nicht zu einer Aussage gezwungen werden kann, soll statt dessen vorweg abgehört werden können. So konterkariert die SPD sich selbst. Sie ist ver-rückt: Sie rückt weg von den Positionen, die sie einst als unverrückbar bezeichnet hat.

Gäbe es in Deutschland einen Straftatbestand "Missachtung des Bundesverfassungsgerichts", dann müsste die Bundesjustizministerin einen solchen Vorwurf fürchten. Sie missachtet das höchste Gericht: Der Gesetzentwurf, den sie zur Umsetzung des Urteils zum großen Lauschangriff vorgelegt hat, verstößt zwar nicht gegen den Wortlaut, verkehrt aber den Sinn des Spruchs vom 3. März 2004.

Die Ministerin nimmt das Urteil zum Anlass, den großen Lauschangriff nicht nur, wie vom Gericht verlangt, zu präzisieren, sondern auch, ihn zu verschärfen. Die bisher von der Wanze verschonten Berufsgruppen will sie künftig unter ziemlich schwammigen Voraussetzungen abhören lassen - dann nämlich, wenn "unabweisbare Bedürfnisse" der Strafverfolgung das erfordern.

Selbst Büro und Wohnung des Strafverteidigers, Pfarrhof und Kirche sollen verwanzt werden dürfen, wenn Verteidiger oder Geistliche der Beteiligung und Begünstigung verdächtig sind. Jeder Strafrechtspraktiker weiß, dass es nicht sehr schwer ist, solche Verdächtigungen zu konstruieren.

Die Schnoddrigkeit im Umgang mit Karlsruhe zeigt sich auch ansonsten: Die Richter hatten verlangt, dass nur im Zusammenhang mit sehr schweren Straftaten verwanzt werden darf - bei denen die Höchststrafe bei über fünf Jahren liegt.

Und was macht der Gesetzentwurf? Statt einschlägige Straftaten auszusortieren, wird der Strafrahmen dort, wo er bisher nicht hoch genug ist, einfach nach oben verändert: Man setzt die Höchststrafe von fünf auf künftig zehn Jahre hinauf. Das Verfassungsgericht hatte die Entwanzung des Rechts gefordert. Neue Verwanzung kommt nun heraus.

© SZ vom 07.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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