Kommentar:Im Ruch der Rache

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Berlins richtige Forderung nach Begrenzung der EU-Ausgaben muss auch richtig erklärt werden.

Von Alexander Hagelüken

(SZ vom 17. Dezember 2003) Europa steht unter dem Schock des gescheiterten Brüsseler Gipfels. Während viele Akteure noch sinnieren, wie lange der nächste Anlauf zu einer EU-Verfassung dauert, wird schon deutlich, mit welch harten Bandagen die neue Gemeinschaft der 25 kämpft. Es waren ja vor allem Spanien und Polen, die mit ihrem Beharren auf einer unfairen Machtverteilung die Einigung auf die Verfassung verhinderten.

Postwendend demonstrieren nun Deutschland und ein paar Verbündete, wie sie solchen Starrsinn in der nächsten Verhandlungsrunde brechen wollen. Die sechs Länder fordern, die EU-Ausgaben in der kommenden Finanzperiode zu begrenzen. Hauptopfer einer solchen Aktion wären, welche Überraschung, Spanien und Polen.

So verständlich das Manöver der Verfassungsfreunde ist, es birgt Risiken. Das gilt besonders für die Bundesrepublik, den größten Nettozahler und größten Profiteur einer Neuverteilung der Macht per Verfassung. Es gibt viele Argumente gegen eine zu brachiale Drohung mit dem Portemonnaie, und alle haben ihre Berechtigung. Natürlich soll die EU eine Solidargemeinschaft sein, in der der Stärkere dem Schwächeren hilft, ohne ihn zu kujonieren.

Fünf Freunde

Natürlich profitiert die deutsche Wirtschaft wahrscheinlich am meisten von der Erweiterung der Union, die eben auch zusätzliche Brüsseler Ausgaben erfordert. Und natürlich müssen die historisch belasteten Deutschen den Verdacht vermeiden, Zugeständnisse per Scheckbuch zu erpressen. Kein Land lässt sich gerne sagen, es hänge am Finanztropf eines Nachbarn, schon gar dieses Nachbarn - selbst wenn es stimmt.

Gottlob hat sich der Bundeskanzler für seinen Vorstoß fünf Freunde erwählt, die den üblichen EU-Lagerbildungen entgegenwirken. So wird aus der Initiative kein Alleingang großer Staaten, es sind ja die Niederlande und Österreich dabei. Der Vorschlag bleibt auch kein Monopol kerneuropäischer Integrationsfanatiker, es sind ja Schweden und England dabei. Durch diese strategisch kluge Konstellation vermeiden die Deutschen, dass ihre Finanzoffensive wertlos gestempelt wird, weil sie in "Groß gegen Klein" oder andere Schubladen fällt.

Aus wirtschaftspolitischen Gründen erscheint das deutsche Vorgehen ohnehin zwingend. Wer den heutigen Brüsseler Haushalt von 100 Milliarden Euro betrachtet, blickt in einen Abgrund. Das ganze Geld fließt wie gottgegeben in die Landwirtschaft oder vermeintlich bedürftige Gegenden, ohne dass jemand nach dem Sinn dieses Tuns fragte. Europa will den Wirtschaftsgiganten Amerika überholen, aber statt in die Zukunft investiert es seine Milliarden in schrumpfende Branchen und fragwürdige Bauten. Der EU-Haushalt verdient eine Reform.

Erst Finanznot erzeugt den erforderlichen Reform-Druck

Und weil in Europas Konsensokratien meist erst Finanznot den erforderlichen Druck erzeugt, sollte der Brüsseler Etat eingefroren werden. So kann Europa endlich eine Debatte über Prioritäten beginnen, statt einfach alle Wünsche zu finanzieren. Was die Gemeinschaft zusätzlich für Außenpolitik oder die neuen Mitglieder im Osten ausgeben will, muss sie eben im Westen einsparen - das geht auch ohne Qualitätsverlust.

Osteuropäer und Spanier wehren sich vehement gegen einen solchen Systemwechsel. Wenn Deutschland und andere Nettozahler ihre Ziele nur annähernd erreichen wollen, müssen sie hart bleiben, ohne aufzutrumpfen. Was die Verfassung betrifft, eignet sich die EU-Kasse nur begrenzt als Druckmittel. Am meisten ist der europäischen Verständigung gedient, wenn alle Seiten die Bedeutung der Geldströme entdramatisieren. Polens Ticket zum Wohlstand sind nicht möglichst hohe EU-Subventionen, sondern wettbewerbsfähige Produkte für den neuen Binnenmarkt - je schneller dies im Osten erkannt wird, desto besser.

Und die reichen Deutschen sollten sich dazu bekennen, ihren Beitrag für die EU zu leisten - nicht mehr als bisher, aber auch nicht weniger. Die deutsche Nettozahlung nach Brüssel ist derzeit nicht viel höher als die weitaus sinnloseren Steinkohle-Subventionen.

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