Kommentar:Harry Potter der Konjunktur

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Finanzpolitik an unsicheren kurzfristigen Effekten zu orientieren, wirkt nicht überzeugend für eine Regierung, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Die Orientierung an psychologischem, nicht wirtschaftlichem Kalkül kostet Rot-Grün ein Stück Glaubwürdigkeit - allen voran dem Kanzler.

Andreas Hoffmann

(SZ vom 30.06.2003) - Schröder pflegt auch seinen Konrad Adenauer. Der erste Kanzler der Bundesrepublik begegnete Vorhaltungen, wenn er wieder das Gegenteil davon tat, was er früher selbst gefordert hatte, mit den Worten: "Sie können mich nicht daran hindern, täglich klüger zu werden." Nun heißt es, klüger zu werden mit Gerhard Schröder.

Er will die für das Jahr 2005 geplanten Steuererleichterungen um ein Jahr vorziehen. Vergessen sind seine Beteuerungen, dass er keine Steuersenkung auf Pump beschließen will. Verklungen sind die Worte seines Finanzministers, wonach er den Marsch in den Schuldenstaat stoppen will. Rot-Grün marschiert. Das Land soll die wirtschaftliche Flaute hinter sich lassen. Durch mehr Geld im Portemonnaie des Bürgers soll die Wirtschaft anspringen. Schröder, der Konjunkturlenker.

Befreiungsschlag nach US-Vorbild

Der Kanzler hat einen bemerkenswerten Meinungswandel vollzogen - weniger aus innerer Einsicht, sondern aus äußerer Notwendigkeit. Auf dem vergangenen G8-Treffen der führenden Industrieländer hatten die Staatschefs ein Zeichen von ihm gefordert. Deutschland, als lahmender Koloss in Europa: Darunter leiden auch die Nachbarn. Besonders drängte seinerzeit US-Präsident George Bush.

Das ist jener Wirtschaftspolitiker, der in kürzester Zeit die Milliarden-Haushaltsüberschüsse seines Vorgängers Bill Clinton in Milliardendefizite verwandelt hatte. Garniert hat er dies mit einer Steuerreform, die Reiche bedient und deren konjunkturelle Effekte höchst zweifelhaft sind. Ein Aufbruchsignal braucht Deutschland aber in jedem Fall, der Kanzler probt erneut den Befreiungsschlag. Nur: Wird er gelingen?

Mit der einen Hand geben, mit der anderen nehmen

Unter ökonomischem Blickwinkel ist die Steuer-Entscheidung eine Tollheit. Ländern und Gemeinden fehlt schon heute das Geld, um tragfähige Haushalte aufzustellen. Weitere zehn Milliarden Euro, die sie die vorgezogene Steuerreform vermutlich kostet, können sie schlicht nicht finanzieren. Die Kämmerer und Finanzminister werden vermutlich noch mehr Euros vermissen; ihre Etats basieren auf optimistischen Wachstumsprognosen, die bald überholt sein dürften. Die Staatskasse wird so eher leerer statt voller.

Es ist auch unklar, ob die Menschen wirklich entlastet werden. Wer weniger Eigenheimzulage oder Entfernungspauschale erhält, hat auch bei geringeren Steuersätzen am Ende nicht mehr im Geldbeutel. Die Koalition schiebt so kaum die Konjunktur an, wenn sie dem Bürger mit einer Hand gibt und der anderen nimmt.

Natürlich lassen sich positive Gründe für das Steuersignal finden. Die Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung mehren sich. Der Irakkrieg war kürzer als erwartet, der gefürchtete Ölpreisanstieg, der den Unternehmen zu schaffen gemacht hätte, ist bisher ausgeblieben. Die Aktienkurse steigen, und mancher Prognostiker meldet positive Daten. Warum also sollte der Staat diesen Trend nicht unterstützen?

Psychologisches Kalkül statt wirtschaftlicher Überlegung

Die Antwort ist einfach. Der Staat kann es nicht, schon weil er selten den richtigen Augenblick für Konjunkturpolitik findet. Trotz zahlreicher Instrumente trifft er oft den falschen Moment, besonders bei Steuersenkungen. Bis Unternehmen und Bürger danach handeln, vergehen viele Monate. Vor allem in unsicheren Zeiten warten die Menschen, sie fürchten um ihren Job und halten das Geld zusammen. Als Ergebnis bleibt dann zunächst: Die Defizite der öffentlichen Haushalte steigen.

Der Plan von Gerhard Schröder entspringt auch weniger ökonomischem Kalkül. Es geht um Psychologie und Taktik. Dies sind übrigens die einzigen Gründe, die das Vorgehen rechtfertigen. In den nächsten Monaten werden die Deutschen viele schlechte Nachrichten lesen. Rentner und Patienten müssen sich auf Einbußen einstellen, Handwerker, Pendler und Eigenheimbesitzer auch und vielleicht Nachtarbeiter. Sie alle werden leiden, wenn die Regierung Subventionen und Vergünstigungen abbaut.

Die Lobbyisten werden aufschreien und die Menschen nur sehen, was ihnen der Staat nehmen will. In diese Wüste will Schröder ein Pflänzchen setzen. Bei allen Negativbotschaften sollen sich die Bürger etwas freuen können - auf ein paar Euro vom Finanzamt, auch wenn nur Cents übrig bleiben werden.

Kurzfristige Effekte statt Glaubwürdigkeit

Natürlich geht es auch um die Opposition. Sie hatte im Bundestagswahlkampf vorgezogene Steuersenkungen gefordert und lehnt sie jetzt als unfinanzierbar ab. Dieser Taktik will Schröder die Botschaft entgegensetzen: Rot-Grün will die Bürger entlasten, aber die Opposition sperrt sich. Das schafft Unruhe, zumal die Union in der Steuerpolitik nur oberflächlich einer Meinung ist. Aber wird das Kalkül aufgehen?

Zweifel bleiben. Finanzpolitik nach Psychologie und Taktik zu entscheiden, wirkt nicht überzeugend für eine Regierung, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Um einen kurzfristigen Effekt zu erzielen, opfert Rot-Grün ein Stück Glaubwürdigkeit. Allen voran ein Kanzler, der der Öffentlichkeit viele Rollen vorgeführt hat, ohne dass die Bürger wissen, wofür er steht. Es traten auf der Modernisierer, der Flut- und Friedenskämpfer, der Gewerkschaftsfreund und der Genosse der Bosse. Nun erleben wir den Kanzler, der auf die Zauberkraft von Steuersenkungen vertraut. Vorhang auf für Harry Potter in Berlin.

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