Kommentar:Europas letzte Mauer

Ein Zufall war dies nicht. Am Tag des Besuchs von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi in Ankara ließ die türkische Regierung im schier endlosen Zwist um Zypern weißen Rauch aufsteigen.

csc

Neue Verhandlungen über die seit drei Jahrzehnten geteilte Insel könnten in Kürze beginnen, versicherte Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Die Botschaft des Premiers an Prodi war klar.

Erdogan will der EU keinen Vorwand liefern, um im Dezember Nein zur Aufnahme offizieller Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei zu sagen.

Dies ist begrüßenswert, über den Erfolg neuer Zypern-Gespräche sagt es aber leider noch nicht viel. Ankara muss erst beweisen, dass die neue Gesprächsbereitschaft mehr als Taktik ist. Dazu muss sich Erdogan gegen die Hardliner im Militär und gegen korrupte Status-quo-Verwalter auf der Insel durchsetzen.

Der Joker der EU-Gegner heißt Zypern

Ein erster Schritt dazu wäre, den starrköpfigen Zypern-Türken-Präsidenten Rauf Denktasch als Verhandlungsführer zurückzuziehen. Dies würde es den ebenfalls vorhandenen Hardlinern auf der griechischen Seite des Zypern-Zauns schwerer machen, eine Wiedervereinigung vor dem 1. Mai, dem Datum der EU-Aufnahme der Insel, zu blockieren.

Bleibt der Zypern-Konflikt bis zum Mai ungelöst, behält Europa seine letzte Mauer, und die EU hat das komplizierte Problem vor der eigenen Haustür. Deshalb sollten Prodi, aber auch die EU-Regierungschefs, schon im eigenen Interesse Erdogan unterstützen.

Jede Zusicherung, die Türkei habe eine Chance, ihren Weg in die EU fortzusetzen, hilft dem Reformpremier in Ankara. Zweifel an dieser Perspektive dagegen stärken die EU-Gegner in der Türkei, deren liebster Joker immer noch Zypern heißt.

© SZ vom 16.01.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: