Kommentar:Ernüchterung nach dem Rausch von Leipzig

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Steuerpolitik und Gesundheitsreform: Von den großen Plänen der CDU bleibt wenig übrig.

Von Susanne Höll

Es gab einmal eine Zeit, da wollte Angela Merkel eine ganz andere Politik machen als die Bundesregierung. In der Sache sowieso, aber auch im Stil. Klare Alternativkonzepte gegen rot-grünes Wischiwaschi stellte die Oppositionschefin damals in Aussicht.

Dafür ist sie von ihrer eigenen Partei, aber auch von Teilen der Öffentlichkeit bejubelt, ja gefeiert worden. Das war vor noch nicht einmal einem Jahr. Inzwischen hat sich die Union anders besonnen: Sie lernt lieber von Schröder, Fischer und Müntefering, als diese zu konterkarieren.

Der Grundsatzkompromiss der Union

Das, was jetzt von der CDU als Grundsatzkompromiss mit der CSU in der Gesundheitspolitik verkündet wird, ist für den Normalmenschen schwer verständlich und unterscheidet sich insofern vom rot-grünen Projekt einer Bürgerversicherung, das auf den ersten Blick recht eingängig wirkt.

Gemeinsam ist beiden Projekten allerdings, dass die Finanzierung, mithin das zentrale Element eines Systemwechsels, vage bleibt, äußerst vage sogar. Der Kompromiss entspricht in wichtigen Punkten nicht mehr dem Beschluss des CDU-Bundesparteitages von Leipzig, den die Christdemokraten gegen alle Fragen und Einwände der Schwesterpartei und der Experten fast ein Jahr lang erbittert als perfekte Lösung für die Sicherung des Gesundheitssystems verteidigt haben.

Quasi nebenbei wurde auch der zweite Hit von Leipzig, die "Bierdeckel-Steuerreform" von Friedrich Merz, zurückgenommen. Statt um zehn sollen die Bürger nur noch um drei Milliarden Euro entlastet werden. Den Steuerzahlern sollen zwar Vergünstigungen wie Pendlerpauschale und Nachtzuschläge gestrichen werden, die Einkommensteuersätze sinken im Gegenzug nicht so stark wie einst geplant.

Mit viel gutem Willen könnte man sagen, dass bei der CDU nach dem Rausch von Leipzig wieder Nüchternheit eingezogen ist. Die Traumschlösser, die sie sich vor Jahresfrist baute, zerfallen. Klar ist nun auch, dass die Gesundheitsreform in dieser Form als Renner für den Bundestagswahlkampf 2006 nicht in Frage kommt.

Gespürt haben die führenden Christdemokraten und Christsozialen das schon länger. Deshalb basteln sie aus willkürlich anmutenden Zahlen eine Einigung zusammen, die in Wahrheit keine ist. Die Union ist Gefangene der Reformeuphorie von Leipzig geworden und sucht nun den Ausbruch, sie will mit aller Macht einen Themenwechsel.

Wie verzweifelt die Sehnsucht nach neuen Offensiven ist, zeigten zwei Ereignisse in dieser Woche: Die Union reicht eine Klage gegen den Etat der Bundesregierung für 2004 ein, was außer ein paar Schlagzeilen nichts bewirken dürfte. Das gilt auch für den Untersuchungsausschuss, der die Visa-Praktiken des Auswärtigen Amtes unter die Lupe nehmen wird.

Die nächsten großen Themen der CDU werden Wachstum und Arbeitsplätze sein. In einem Jahr wird man wissen, was davon noch Bestand hat.

© SZ vom 12.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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