Kommentar:Ende der Sittlichkeit

Lesezeit: 2 min

Finanzminister Hans Eichel gibt seine Prinzipien auf, aber nicht sein Ministeramt.

Von Ulrich Schäfer

Es war einmal ein Bundesfinanzminister, für den die Ordnung der Staatsfinanzen "eine zutiefst sittliche Frage" war. Er träumte vom Ende jeder Kreditaufnahme und beglückte die Bürger mit der größten Steuerreform aller Zeiten.

Der tiefe Fall der Finanzminister

Anfangs war er bekannt für seine "gusseiserne Souveränität" ( Die Zeit), doch als die Wirtschaft nicht mehr wuchs, tauchten plötzlich gewaltige Lücken in seinem Etat auf. Auf seine Kalkulationen war kein Verlass mehr, auch wenn der Kanzler unverdrossen verkündete: "Das Gütesiegel bleibt unsere Haushaltssolidität." Eine britische Wirtschaftszeitschrift spottete, er sei der schlechteste Finanzminister Europas.

Der Mann hieß Gerhard Stoltenberg und hielt sich sechseinhalb Jahre im Amt. Im April 1989 schob ihn Helmut Kohl im Zuge einer Kabinettsumbildung ins Verteidigungsressort ab.

Wie lange noch?

Die Geschichte des Gerhard Stoltenberg zeigt, wie tief ein Finanzminister fallen und wie lange er sich trotzdem halten kann. Auch Hans Eichel ist vom Star zum "nützlichen Idioten" abgestürzt ( Financial Times Deutschland), auch er kann die Löcher in seinem Etat kaum noch überblicken, sein Ruf ist hin, und nun wollen seine Kabinettskollegen nicht mal mehr mit ihm über den Etat verhandeln; stattdessen rennen sie direkt zum Kanzler. Längst fragen alle in Berlin: Wie lange noch? Wann geht Eichel?

Zu viele Bastas

Es ist das Missliche am System Schröder, dass immer, wenn nichts mehr geht, ein Basta her muss, ein Machtwort, ein Eingriff von ganz oben - auch jetzt im Streit um den Haushalt. Doch es hat schon so viele Bastas gegeben, und so viele kurzfristige Richtlinienentscheidungen, bei denen nicht klar war, welche Richtung und Linie eigentlich gelten.

Auch diesmal lässt Gerhard Schröder die Sache treiben. Er hat zu verstehen gegeben, dass er sich um die Details nicht kümmern will: Reisespesen, Stellenpläne, Fördergelder - das sollen die Minister bitteschön direkt mit Eichel besprechen. Schröder gibt allenfalls die grobe Linie vor, doch auch die bleibt vage.

Paar Milliarden Schulden hin oder her...

Ihm ist ziemlich egal, ob Deutschland im nächsten Jahr wieder den Stabilitätspakt einhält. Ihm ist egal, ob die Schulden ein paar Milliarden höher liegen, als die Verfassung oder europäische Verträge erlauben - aber er sagt nichts darüber, ob es nun tatsächlich einen Schwenk in der Finanzpolitik geben soll, hin zu einer keynesianischen Konjunktursteuerung.

Genau hier beginnt das Problem dieser Regierung - und für Hans Eichel. Ein Finanzminister muss in Zahlen gießen, wofür eine Regierung steht. Doch weniger denn je ist erkennbar, was diese Koalition eigentlich will. Den Arbeitsmarkt weiter reformieren? Ja. Nein. Später.

Tricks und Tarnmanöver

Die Sozialabgaben senken? Aber bitte. Vielleicht. Weiß nicht. Und der Sparkurs? Welcher Sparkurs eigentlich? Rot-Grün steht derzeit für Stillstand und Streit.

Am Ende dieses Gewürges wird ein Haushalt stehen, der wohl auf dem Papier stimmen mag, aber in der Realität kaum halten wird. Mit Tricks und Tarnmanövern wird er passend gemacht.

Eigentlich dürfte Eichel, wenn er noch seinen Prinzipien treu wäre, einer solchen Politik nicht mehr die Hand reichen. Das Problem ist nur: Auch der Finanzminister hat seine Prinzipien aufgegeben, auch ihm geht es wie Schröder nur noch um den Machterhalt. Deshalb wird er, davon sind seine Getreuen überzeugt, von sich aus nicht hinwerfen; Schröder müsste ihn entlassen.

Waigels Mitgefühl

Noch reichen die Querschüsse und Angriffe aus den eigenen Reihen, die Eichel erleben muss, nicht an das heran, was seinem Vorgänger Theo Waigel in seiner langen Amtszeit widerfuhr. Neun Jahre verwaltete Waigel die leeren Kassen des Bundes, so lange wie kein anderer.

Im achten Amtsjahr dachte der CSU-Politiker laut über einen Rücktritt nach - und blieb doch. Seinem Nachfolger Hans Eichel hat er, als es um dessen Popularität noch besser bestellt war, mal eine Warnung mit auf den Weg gegeben: "Sie werden mein Mitgefühl noch brauchen."

© SZ vom 11.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: