Kommentar:Ein Tag, der Frankreich verändern wird

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Frankreichs Sozialisten stimmen über die EU-Verfassung ab - und könnten Europa in die Krise stürzen.

Von Gerd Kröncke

Wenn der Pensionär Lionel Jospin, Verlierer der Präsidentschaftswahlen des Jahres 2002, sich in unregelmäßigen Abständen aus dem Ruhestand zu Wort meldet, dann hört ihm zwar nicht die ganze französische Republik zu, wohl aber seine eigene Partei. Nun spricht er sich für ein klares Ja zur Europäischen Verfassung aus.

Die Auseinandersetzung um dieses Zukunftswerk hat innerhalb der Sozialistischen Partei Frankreichs (PS) zu einem ungeahnten Konflikt geführt.

Der PS-Vorsitzende François Hollande, der noch von Jospin ins Amt gebracht wurde, hatte es für richtig gehalten, die Mitglieder in einer Urabstimmung befragen zu lassen, ob sie die Verfassung billigen wollen. Jospin tritt ein für ein "dynamisches Ja", das besser sei als ein "stagnierendes Nein".

Hollande spielt mit hohem Einsatz. Dabei hat er seine Partei, die in der Frage gespalten ist, ohne Not in ein Abenteuer gestürzt. Die Mitgliederbefragung ist weniger ein Zeichen für innerparteiliche Demokratie als für die Schwäche ihres Vorsitzenden.

Zwar haben sich die meisten Wortführer für die EU-Verfassung ausgesprochen, aber ein Schwergewicht ist ausgeschert: Laurent Fabius, der ehemalige Premierminister, hat Ambitionen, 2007 als Präsidentschaftskandidat anzutreten, und profiliert sich mit seinem klaren Nein.

Ihm aber kommt es vor allem auf eines an: Auf dem Weg zurück zur Macht können die Sozialisten nur verlieren, wenn sie den ersten wichtigen Schritt - das nationale Referendum über die EU-Verfassung - gemeinsam mit den Konservativen gehen.

Warnung der Genossen vor der Katastrophe

Ein Triumvirat an der Spitze der Partei versucht unterdessen das Ja zu retten. Neben Hollande reisen unermüdlich auch Dominique Strauss-Kahn, ehemaliger Wirtschaftsminister, und Jack Lang, Ex-Kulturminister, durch die Lande, um die Genossen vor der Katastrophe zu warnen. Wenn die Mehrheit der 120.000 eingeschriebenen Sozialisten die Verfassung ablehnen sollte, hätte dies nämlich Folgen, die weit über die Partei hinausreichen.

Dann könnte nämlich die parteiinterne Abstimmung das Wahlverhalten der Franzosen beeinflussen, die das Verfassungsreferendum ohnehin als politisches Ventil sehen und Frage einer Aufnahme der Türkei in die Auseinandersetzung einbeziehen, obwohl darüber gar nicht entschieden wird.

Wie auch immer: Sollte einem Nein der PS zur EU-Verfassung auch das der Wähler folgen, wären die französischen Sozialisten mitverantwortlich für eine große Krise Europas.

Sogar für Jacques Chirac ist der 1.Dezember, das Datum der PS-Partei-Abstimmung, ein Tag, der die politische Landschaft Frankreichs verändern kann. Bei einem Nein wäre Laurent Fabius der neue Herausforderer Chiracs. Selbst die bürgerliche Regierung müsste sich neu orientieren.

Dann wäre Chirac versucht, seinen zunehmend unglücklichen Premierminister Jean-Pierre Raffarin abzulösen. Zwei, drei Favoriten gibt es schon, aber das letzte Wort hat wie immer der Präsident.

© SZ vom 22.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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