Kommentar:Ein Kampf um Brüssel

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Jetzt sind mal wieder alle Vorurteile über Europa und seine Institutionen auf das Wunderbarste bestätigt: Ein Möchtegern-Parlament mit widersprüchlichen Interessen reitet genüsslich das bisschen Autorität zu Tode, das ihm gegeben ist.

Von Stefan Kornelius

Eine Semi-Regierung, Kommission genannt, bricht zusammen in ihrer Zwitterrolle - nicht gewählt und doch dem Parlament verantwortlich. Diese paneuropäische Truppe war außerdem zu bunt und in ihrer Qualifikation zu uneinheitlich, als dass man sie hätte mögen können.

Der Chef der Kommission, Präsident genannt, soll handeln wie ein Staatenlenker, obwohl sein Reich aus Bürofluchten besteht und seine Macht in der Gabe liegt, auszugleichen. Gerade dies ist ihm aber offenbar nicht gegeben. Und hinter all dem stehen die Paten des Niedergangs, die Premiers und Präsidenten aus 25 Staaten, die sich das Schauspiel offenbar unbeteiligt anschauen, denn ihre Bedeutung wird wieder zunehmen im Lichte des sinkenden Euro-Schiffes.

Dieses Europa ist also prompt in die Falle gelaufen, die es selbst seit Jahren fleißig baut. Im Bermuda-Dreieck aus Parlament, Kommission und Rat der Regierungen wirken Kräfte, die sich niemals werden bündeln lassen, die sich vielmehr abstoßen und in Wahrheit eine Unverträglichkeit der Institutionen signalisieren.

Der ewige Kompromiss

Das Kraftfeld konnte zum Kommissions-Wechsel 2004 deswegen so stark strahlen, weil seit einem halben Jahr zehn neue Staaten Mitglied in der EU sind, was geradezu nach einer Rauferei der Institutionen schreit, bei der sich die Machtverhältnisse klären können.

Geklärt hat sich bisher allerdings wenig in der Episode Buttiglione. Ein so sturer wie gutgläubiger italienischer Politiker erregte mit seinen Äußerungen über Homosexuelle und Frauen den Zorn der politischen Gegner und löste eine Auseinandersetzung aus, in der über moralische Überlegenheit und Glauben entschieden werden sollte.

Das kann nicht gut gehen. Anstatt aber den Streit zu entschärfen und den Moralin-getränkten Wurfmessern auszuweichen, ließ sich der designierte Kommissions-Präsident Barroso in einen Machtkampf ein, bei dem es am Ende um viel Grundsätzlicheres gehen sollte: Auf wen nämlich hört dieses Europa?

Die ehrliche Antwort wäre: Mal auf den, mal auf jenen. Europa ist der ewige Kompromiss, der mit 12 oder 15 Mitgliedern leichter zu bauen war als mit 25. Bei der Bestallung der Kommission musste dieses Europa eben den Faktor Parlament einkalkulieren, weil die Abgeordneten in Straßburg ein Veto-Recht gegen die Führung der Megabehörde geltend machen können.

Wer ist der Souverän?

Bei 15 Mitgliedstaaten und halbwegs homogenen Parteifärbungen in den einzelnen Ländern waren die Interessen des Parlaments leichter zu steuern. Der direkte Zugriff der nationalen Parteihierarchie auf die Abgeordneten in Straßburg sorgte für eine gewisse Disziplin, und Kompromisse ließen sich arrangieren.

Nun ist die Lage komplizierter. Die europäischen Institutionen sind gewachsen, sie haben eine beschlossene, aber noch längst nicht ratifizierte Verfassung mit einer neuen Kompetenzverteilung vor Augen.

Und immer heftiger wird die Auseinandersetzung um die Schlüsselfrage: Wer eigentlich sorgt für Legitimation und Kontrolle? Wer ist der Souverän? Tatsächlich hat die Europäische Union durch ihren Wachstumsschub ein Machtvakuum erzeugt. Und im Sog der Geschwindigkeit wurde die Luft ganz schön dünn.

Der neue Kommissions-Präsident Barroso handelte in dieser Phase denkbar unklug. Er suchte nicht nach einem gesichtswahrenden Ausweg, sondern ließ es auf die Konfrontation mit dem Parlament ankommen. Als aus dem Moral-Streit ein Machtkampf der Institutionen wurde, war es längst zu spät für einen Kompromiss.

Buttiglione steht für einen Konflikt der Institutionen

Jetzt ist Barroso schwer beschädigt, obwohl er sein Amt noch nicht einmal angetreten hat. Er wird - sollte er weiter machen wollen - fünf Jahre lang mit diesem Geburtsmakel behaftet sein. Wäre er unabhängig und stark gewesen, dann hätte er etwa den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi mit Hilfe verbündeter Regierungschefs zur Auswechslung Buttigliones gezwungen. Dies hat er nicht geschafft, und das Publikum darf sich künftig fragen, welchen Hebel der Kommissions-Präsident bei widerstrebenden Interessen der Regierungschefs anzusetzen gedenkt.

Gewonnen haben lediglich die Regierungschefs, konkret diejenigen, die eine schwache Kommission und ein schwaches Parlament lieben, den Einfluss der nationalen Regierungen also stärken wollen. Schon seit Monaten ist spürbar, dass ein Europa der 25 großen Fliehkräften ausgesetzt ist, dass also die Bedeutung der Integration schwindet und der Magnet Brüssel an Anziehungskraft verliert.

Es ist gut möglich, dass der Name Buttiglione einmal für den Zeitpunkt stehen wird, an dem sich die Institutionen der EU zum letzten Mal heftig aufgebäumt haben, ehe sie in eine Lähmung verfielen.

Buttiglione ist nicht der Name eines zauseligen Beinahe-Kommissars, der an einer Verträglichkeitsprüfung scheiterte. Buttiglione steht für einen Konflikt der Institutionen, für den es in Wahrheit zur Zeit nirgendwo eine Lösung gibt.

© SZ vom 28.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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