Kommentar:Ein alternativer Nobelpreis

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Weil die Welt 2004 keine Friedensehrung verdient, hat Oslo eine Umweltschützerin ausgezeichnet.

Von Stefan Ulrich

Der Zufall führte üble Regie an diesem Freitag. Denn die Verkündung des Friedensnobelpreises wurde von kriegerischen Meldungen eingerahmt: Vorher beherrschten Attentate in den Urlaubsparadiesen am Roten Meer die Nachrichten. Danach wurde die Enthauptung der britischen Geisel Kenneth Bigley im Irak bekannt.

Dieser Zufall ist symptomatisch, er ist zeitgemäß. Er demonstriert, dass der Friedenspreis fast zum Anachronismus geworden ist. Die Welt ist jedenfalls nicht friedlicher geworden im Jahr 2004: Die Hoffnung auf einen besseren Irak - sie trog. Der Weg aus dem Palästinakonflikt - ist versperrt. Der Frieden im Südsudan - wird durch den Krieg in Darfur konterkariert. Der Atomstreit mit Iran - spitzt sich zu. Der Terrorismus - tobt sich fast schon täglich aus. Der Kampf der Kulturen - er ist wieder etwas wahrscheinlicher geworden.

Für die drei Frauen und zwei Männer des Osloer Nobelkomitees war es also besonders schwer, einen würdigen Preisträger auszuwählen. Unter den Politikern fand sich kein Willy Brandt, kein Nelson Mandela und kein Yitzhak Rabin. Viel leichter wäre es gewesen, einen Krieger des Jahres zu küren. Und auch die üblichen Preisverdächtigen wie der Tscheche Vaclav Havel, Papst Johannes Paul II. und die großen Menschenrechtsorganisationen drängten sich diesmal nicht für den Nobelpreis auf. Also machten die Fünf von Oslo aus ihrer Not eine Tugend. Sie erweiterten einfach den traditionellen Friedensbegriff und schlossen auch den Umweltschutz darin ein.

Honorige Wahl

Allerdings ist die Wahl der Kenianerin Wangari Maathai keineswegs nur Ausdruck von Hilflosigkeit. Denn es ist schon wahr: Eine gesunde Umwelt ist ein guter Nährboden für den Frieden. Verwüstete Länder aber bringen die entwurzelten Menschen dazu, gegeneinander ums Überleben zu kämpfen. Die Aktivistin Maathai hat daher Recht, wenn sie sagt: "Mit dem Pflanzen von Bäumen säen wir auch eine Saat des Friedens." Diese Saat hat Oslo am Freitag mit Bedacht gedüngt.

Eine honorige Wahl also, und dennoch: Das Komitee hätte ein noch stärkeres Signal in die Welt senden können. Es hätte am Freitag um elf Uhr verkünden sollen: Der Gewinner ist - niemand. Eine solche Verweigerung würde das Weltbewusstsein vielleicht nachhaltiger prägen als die Auszeichnung Wangari Maathais. Denn es wäre eine Verweigerung mit Sprengkraft, die wohl auch dem Preisstifter Alfred Nobel gefallen hätte. Sie hätte die Selbstgefälligkeit der Weltenlenker ein wenig erschüttern können - auch und gerade in Washington.

In der Vergangenheit hat das Komitee in Oslo schon manches Mal zu diesem drastischen Mittel gegriffen, und das nicht nur während der Weltkriege Eins und Zwei. Diesmal dagegen hat es die Jury vorgezogen, eine Art alternativen Nobelpreis zu verleihen. Wangari Maathai ist diese Auszeichnung gewiss zu gönnen. Die Welt aber hat im Jahr 2004 keinen Friedenspreis verdient.

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