Kommentar:Du sollst für Vater und Mutter zahlen...

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... solange du lebst: Wie das Verfassungsgericht diese Neufassung des vierten Gebots verhindert hat.

Von Heribert Prantl

Viele Sozialämter haben jahrelang versucht, das vierte Gebot neu zu schreiben. Darin steht bekanntlich, dass man Vater und Mutter ehren soll. Die Sozialämter machten, angesichts ihrer leeren Kassen, ein neues Gebot daraus.

Ehren ja, aber auf jeden Fall zahlen? (Foto: Foto: ddp)

Es lautete so: Du sollst für Vater und Mutter bezahlen, solange du lebest, auch wenn du selber kein Geld hast. Du sollst dann, wenn Vater und Mutter ins Pflegeheim kommen, notfalls ein Darlehen aufnehmen, um das zu finanzieren.

Du sollst notfalls auch deine eigene private Altersversorgung gefährden. Du sollst jedwede Ersparnisse zum Sozialamt tragen, auf dass nicht der Staat allein die hohen Kosten fürs Alten- und Pflegeheim tragen muss.

Aus Sozialhilfe hinausschleichen

Der Staat versuchte so, sich aus der Sozialhilfe hinauszuschleichen, er ließ sich die Kosten von den Kindern refinanzieren: Du magst arm sein, sagte der Staat zum erwachsenen Kind von pflegebedürftigen Eltern; der Staat aber ist noch ärmer.

Du magst dich nicht mit Schulden belasten; wir haben sie schon. Du bist das Kind, wir sind der Staat - und sitzen am längeren Hebel. Wir lassen notfalls, um unsere Ansprüche zu sichern, bei dir eine Zwangshypothek eintragen.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Staat nun diesen Hebel aus der Hand genommen. Es hat damit den Versuch des Staates beendet, die Sozialhilfe zu privatisieren; zuvor hatte schon der Bundesgerichtshof da und dort eingegriffen.

Das Sozialrecht darf die Kinder nicht zu Zahlungen zwingen, zu denen sie zivilrechtlich ihren Eltern gegenüber nicht verpflichtet sind. Die grundsätzliche Bedeutung des Urteils des höchsten Gerichts liegt nicht nur darin, dass es Kinder vor unabsehbaren finanziellen Belastungen für ihre immer älter werdenden Eltern verschont.

Die Bedeutung liegt auch und vor allem darin, dass es dem Gesetzgeber beim Umbau des Sozialstaates auf die Finger schaut: Der Transport von Kosten und Risiken, die bisher staatlich abgesichert waren, zurück in die Privatheit hat Grenzen.

Der Staat darf sich nicht rundum entlasten. Er kann sich nicht aus der gesetzlichen Rentenversorgung immer weiter zurückziehen, also die Leute zu privater Vorsorge auffordern - und ihnen dann auch noch zusätzliche Lasten aufbürden.

Das höchste Gericht sagt dreierlei. Erstens: Der Staat kann erwachsene Kinder, die kein oder kaum ein Vermögen haben, nicht zwingen, sich für die Heimkosten der Eltern massiv zu belasten; ein Gesetz, das dies vorsähe, wäre verfassungswidrig, weil es den Rechtsanspruch auf Sozialhilfe untergrübe.

Zweitens: Eine Unterhaltspflicht der Kinder für Eltern ist im Gegensatz zum Unterhalt der Eltern für Kinder verfassungsrechtlich nicht geboten.

Drittens: Wenn der Staat bei der Alterssicherung immer mehr auf Eigenvorsorge setzt, dann muss der Elternunterhalt immer mehr zurücktreten.

Nun also ist klar, dass auch ein armer Staat nicht arme Kinder schröpfen kann. Es wird noch näher zu klären sein, ab wann Kinder so reich sind, dass der Staat sie zu Schuldnern machen darf.

© SZ vom 8.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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