Kommentar:Die Rückkehr des Bösen

Lesezeit: 4 min

Vor 60 Jahren wurde die erste Atombombe gezündet - im Zeitalter des Terrors ist sie gefährlicher denn je.

Von Stefan Kornelius

Es tut den Menschen nicht gut, sich mit den Göttern zu vergleichen. Aber geblendet vom gleißenden Licht aus fast zehn Kilometern Entfernung traten den Wissenschaftlern Tränen in die Augen. Andere lachten hysterisch, und Robert Oppenheimer, gezeichnet vom Druck der Verantwortung, zitierte den vielarmigen Gott Vishnu aus dem Bhagavad-Gita, dem zentralen Werk hinduistischer Weisheit: "Jetzt wurde ich zum Tod, dem Zerstörer der Welten."

Robert Oppenheimer hatte die Atombombe gezündet. Sie explodierte im Morgengrauen des 16. Juli 1945 unter dem Codenamen Trinity, Dreieinigkeit, an einem abgelegenen Flecken von New Mexico, den man aus spanischen Zeiten noch Jornada del Muerto nannte: Weg des Todes.

Und weil die Wissenschaftler nach der übermächtigen Wirkung dieser Detonation tatsächlich den Beistand des Übermenschlichen suchten, sollte es nicht der letzte Vergleich mit den Göttern gewesen sein. Oppenheimer sagte nach dem Zweiten Weltkrieg, er habe an Prometheus gedacht, an die neue Macht des Menschen, die damit verbundene Schuld, die Erkenntnis des Bösen. Am 16. Juli 1945 kam das Böse erneut in die Welt.

Keine Waffe hat die Menschheit stärker verändert als die Atombombe. Nirgendwo ist eine so klare Zäsur im politischen Mit- und Gegeneinander der Menschen zu finden, als nach dem ersten Bombentest vor 60 Jahren. Nirgendwo sonst war Krieg so verdichtet und grausam, wie am 6. und 9. August 1945 in Hiroshima und Nagasaki, nur wenige Tage nach dem ersten Test.

Seitdem beherrscht die Bombe das Leben - oder besser: die Phantasie von der völligen Vernichtung, von der Selbstzerstörung der Menschheit.

Dieses totale Untergangs-Szenario hat Generationen von Staatenlenkern, Strategen und Forschern geprägt, es hat Gesellschaften politisiert und emotionalisiert. Dramatische Momente der Zeitgeschichte wurden unter dem Eindruck der Bombe geformt.

Kennedy und Chruschtschow standen sich während der Kuba-Krise gegenüber - Auge in Auge in einem Vernichtungs-Poker. Und in Deutschland musste Helmut Schmidt auch deshalb von der Macht lassen, weil er das atomare Patt dem Parteiinteresse nicht opfern wollte.

Wenn nicht wir, dann die

Schlaglichter aus einer unvermeidlichen Entwicklung. Oppenheimer war es, der den Forscherdrang mit einem simplen Satz erklärte: "Die großen Entdeckungen der Wissenschaft gelingen nicht, weil sie sinnvoll sind. Sie werden entdeckt, weil man sie entdecken konnte."

Die zentrale Figur bei der Entwicklung der Bombe spricht über eine Selbstverständlichkeit in der Vernichtungsgeschichte: Hätten wir die Waffe nicht gebaut, hätten es eben andere getan.

Dabei war Oppenheimer und den Wissenschaftlern aus dem Manhatten-Projekt die Bedeutung der neuen Waffe immer bewusst. Auch aus Washington sind Auseinandersetzungen schon Monate vor der ersten Zündung überliefert: Soll man die Bombe tatsächlich einsetzen?

Soll man die Verbündeten mit der Technologie versorgen und damit gleichsam ein Erkenntnis-Patt erzeugen, das den Einsatz am Ende unmöglich macht? Soll man die Atombombe nutzen, um eine globale Ordnung durchzusetzen?

Die Fragen waren schnell beantwortet - vielleicht auch, weil es den Schock von Hiroshima und Nagasaki brauchte, um die Vernichtungskraft und damit die Bedrohlichkeit der Waffe zu erfassen. Das atomare Zeitalter hatte begonnen, das Zeitalter der Atombombe.

Es sollte niemandem alleine gehören - und es würde nicht leicht zu beenden sein. Tatsächlich hält es bis heute an und ist immer weniger zu beherrschen. Nach Hiroshima und Nagasaki stellten die USA ihre Erkenntnisse zusammen.

Die erste Frage: "Was, wenn eine amerikanische Stadt Ziel der Bombe gewesen wäre?" Und dann findet sich die Empfehlung: "Um die Zerstörung zu verhindern, wäre es am sichersten, einen Krieg zu verhindern."

Zwei wichtige Grundsätze des nuklearen Zeitalters verbergen sich in den Zitaten: Verwundbarkeit und Abschreckung. Wer das Atom beherrscht, verfügt zwar über eine große Drohung, aber er ist auch bedroht.

Gegen die schlimmstmögliche Waffe hilft nämlich nur die Abschreckung mit der gleichen Waffe. Nur durch ein System von Drohung und Gegendrohung lässt sich die Gefahr bändigen. Das nukleare Gleichgewicht war geboren. Krieg war geradezu unmöglich geworden, weil er die völlige Vernichtung bedeutet hätte.

Verlust der Abschreckung

Dieses System konnte nur so lange funktionieren, wie die Zahl der Spieler überschaubar blieb und die Regeln eingehalten wurden. Als aber der Wunsch nach Freiheit übermächtig wurde und die Sorge vor der Vernichtung dahinter verblasste, war das nukleare Patt der Supermächte bedeutungslos geworden.

Die Waffe indes wurde nicht weniger gefährlich, im Gegenteil. Das atomare Zeitalter trat in eine neue Phase.

Heute lagern weltweit etwa 13000 nukleare Sprengköpfe in den Arsenalen. Ihre Zerstörungskraft würde die Erde mehrfach pulverisieren. Dies aber ist nicht das einzige Problem. Gefährlich ist, dass die Einsatzlogik nicht mehr greift. Das System von Drohung und Gegendrohung ist außer Kraft, die Abschreckung hat ihre Wirkung verloren.

Aus fünf Nuklearmächten wurden inzwischen mindestens acht. Zudem hat auch Nordkorea nach eigenem Bekunden Atomwaffen, Iran arbeitet an seinem Arsenal. Das Atom macht stark - diesmal die Mittelmächte in ihren Krisenregionen.

Zwischen Indien und Pakistan herrscht eine Art nukleares Patt. In Ostasien bedroht Nordkorea mit seinen Ambitionen das strategische Gleichgewicht der Pazifik-Anrainer. Sollte das Land die Bombe zünden, wird Japan über eine Atombewaffnung nachdenken - Japan, 60 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki.

In China faselt ein hochrangiger General von einem Nuklearkrieg mit den USA: "Wir werden uns auf die Zerstörung all unserer Städte östlich von Xian vorbereiten." Östlich von Xian liegen alle chinesischen Industriezonen, einschließlich der Städte Peking und Schanghai.

In Phase zwei des nuklearen Zeitalters entzieht sich das Atom der Kontrolle der Politik. Die Bomben-Technik wird verfügbar, Materialien gibt es auf dem Schwarzmarkt, die Einsatzschwelle sinkt bedrohlich.

Wer sich heute über Selbstmordbomber in Westeuropa entsetzt, der sollte die Phantasie terroristischer Massenmörder nicht unterschätzen. Das Atom ist die ultimative Waffe der vom Todeskult getriebenen. Sie lassen sich nicht abschrecken, schon gar nicht vom Horror atomarer Vernichtung.

60 Jahre nach der ersten Zündung verbreitet die Atombombe mehr Schrecken denn je. Noch immer gibt es keine Waffe, die mehr Tod und Zerstörung bringen kann. Und wie vor 60 Jahren ist ihr nichts entgegenzustellen - außer der Vernunft.

Präsident Truman, gerade im Amt, notierte im Frühjahr 1945: "Wir perfektionieren einen Explosivkörper, der so groß ist, dass er die ganze Welt zerstören kann." An dieser Erkenntnis hat sich bis heute nichts geändert.

© SZ vom 16.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: