Kommentar:Die Rückkehr der Täter

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Zu viele Serben wählen radikal - nun müssen die zerstrittenen Reformer endlich zusammenfinden.

Europa ist nur knapp einem politischen Gau auf dem Balkan entkommen: Beinahe wären in Serbien die Parteien zweier Häftlinge des Haager Kriegsverbrechertribunals an die Macht zurückgekehrt.

Der eine ist Vojislav Seselj, dessen ultranationalistische Partei SRS bei der Parlamentswahl mehr Stimmen als jede andere erhielt. Der zweite ist Slobodan Milosevic, den die Serben für die Sozialisten wieder ins Parlament wählen wollten.

Eine Mehrheit ihrer beiden Parteien wurde wohl nur durch eine für serbische Verhältnisse rege Wahlbeteiligung verhindert. Es gingen diesmal doch mehr Besonnene zur Abstimmung als solche, die von "inat" geleitet wurden, jener selbstverliebten Neigung zu herausforderndem Trotz.

Drei Jahre nach dem Sturz Milosevics äußerten die Wähler mit den Stimmen für die Partei des großserbischen Demagogen Seselj vor allem ihre Enttäuschung und ihren Unmut - über die wirtschaftlichen Leistungen sowie das zänkische Erscheinungsbild der Wende-Koalition DOS.

Die Radikalen unter Seseljs Statthalter Tomislav Nikolic sprachen vorrangig die Empörung von Arbeitslosen und sonstigen Benachteiligten der Reformpolitik an. Erst dahinter rangierte ihr zweites Thema: Die Vision von einem Großserbien als Trost für die nationale Frustration.

Ein bedenkliches Symptom

Viele Serben fühlen sich als Verlierer der jugoslawischen Kriege, als Opfer ungerechter Bombenangriffe der Nato und anti-serbischer Geschichtsschreibung durch das Haager Tribunal. Dass sich der nicht ganz unverständliche Protest aber in einem Votum für die einstigen Scharfmacher und Kriegsverursacher ausdrückt, ist ein bedenkliches Symptom für den Bewusstseinszustand breiter Schichten in Serbien. Dies ist etwas anderes als das Zurückpendeln zu gewendeten Gestrigen in osteuropäischen Transitionsländern.

Vojislav Kostunica, der hinausgedrängte jugoslawische Präsident, gab in der Wahlnacht jenen die Schuld am Erfolg der Radikalen, die in den vergangenen drei Jahren die Regierungsmacht innehatten - im Wesentlichen der Demokratischen Partei des ermordeten Ministerpräsidenten Zoran Djindjic. In der Tat hatte Djindjic wenig Sinn für rechtsstaatliche Institutionen gezeigt. Die internationale Gemeinschaft nahm es stillschweigend hin, dass seine Regierungsmehrheit die Abgeordneten der Partei Kostunicas für Monate aus dem Parlament verbannte.

Korruptionsaffären und dubiose Verbindungen zur organisierten Kriminalität kosteten die Regierung unter Djindjics Erben schließlich die Mehrheit. Der nationalkonservative Kostunica jedoch kann sich selbst nicht freisprechen von einer Mitverantwortung am Dauerstreit in der Wende-Koalition. Dieser Streit und die Spaltung waren großenteils von persönlicher Unduldsamkeit und mangelnder Kompromissfähigkeit geprägt.

Europäische wie amerikanische Diplomaten in Belgrad macht der Wahlausgang besorgt. Im Westen wird nun darauf gesetzt, dass sich die zerstrittenen Reformkräfte zusammenraufen und eine Regierung bilden. Als erster Test gilt die Einigung auf einen Parlamentsvorsitzenden. Er muss angesichts des nach drei gescheiterten Wahlgängen vakanten Präsidentenamts den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen.

Was jetzt euphemistisch "demokratischer Block" genannt wird, ist allerdings alles andere als ein Block. Alte Rechnungen und Ansprüche auf Teilhabe an der Macht werden das Zusammenraufen viel schwerer machen als unterschiedliche politische Ansichten - zum Beispiel über den Staatenbund mit Montenegro, über Strategien zur Wirtschaftsbelebung oder gar über eine konstitutionelle Monarchie. Die Bildung einer Regierung wird sich gewiss lange hinziehen, und ein Ergebnis dürfte kaum von großer Dauer sein. Die EU und das Haager Tribunal werden sich währenddessen wohl zurückhalten mit unpopulären Auslieferungsforderungen. Es sollte Rücksicht darauf genommen werden, einen breiten Konsens in Serbien zu erreichen.

SZ vom 31.12.2003

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