Kommentar:Die Reifeprüfung

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Im Zypern-Konflikt zeigt die Türkei, dass sie Beitritts-Verhandlungen mit der EU verdient. Die politische Führung in Ankara ist über ihren langen Schatten gesprungen und unterstützt einen Insel-Frieden. Jetzt liegt die Verantwortung bei den Bürgern der Insel, das letzte Wort zur Wiedervereinigung zu sprechen.

Von Christiane Schlötzer

Der Zypern-Gipfel auf dem Schweizer Bürgenstock markiert für die Türkei einen historischen Einschnitt. Noch keine Regierung seit 1974, als Premier Bülent Ecevit die Invasion auf Zypern befahl, hat einer Wiedervereinigung der geteilten Insel zugestimmt.

Nun ist die politische Führung in Ankara über ihren langen Schatten gesprungen und unterstützt einen Insel-Frieden. Der Politikwechsel ist Folge des strikten EU-Kurses der Regierung von Tayyip Erdogan, die nach erst eineinhalb Jahren im Amt mit ihrer Außenpolitik zeigt, dass sie ein verlässlicher Partner für Europa sein will.

Für die EU ist dies erfreulich, weil sie sieht, dass die Aussicht auf Mitgliedschaft ein starker Reformmotor für die Türkei ist. Für das künftige EU-Land Zypern gilt das leider nicht in gleichem Maß.

Mit Maximalforderungen ist kein Frieden zu machen

Tassos Papadopoulos, der Präsident der Zypern-Griechen, agierte auf dem Schweizer Parkett wie ein Vertreter der Vergangenheit. Schon als der 70-Jährige vor einem Jahr überraschend die Präsidentenwahl gewann, sahen die Befürworter eines Zypern-Friedens schwere Zeiten vor sich.

Der Populist Papadopoulos hatte seinen Wahlkampf mit der Parole bestritten, alle Zypern-Griechen, die einst aus dem heute türkischen Norden vertrieben wurden, müssten in einem neuen Staat ein Rückkehrrecht und ihr altes Eigentum erhalten. Dies hat UN-Generalsekretär Kofi Annan in seinem Plan mit gutem Grund nie versprochen, weil mit Maximalforderungen kein Frieden zu machen ist.

Kostas Karamanlis, der neue, politisch noch unerfahrene Regierungschef in Athen, spürte ebenfalls die Schatten der Vergangenheit im Rücken. Schon einmal hat ein Karamanlis, der Onkel des jetzigen Premiers, in der Schweiz ein Zypern-Abkommen unterzeichnet.

Verständlich, aber nicht klug

Das war 1959, und damals kümmerte es Karamanlis wie den türkischen Regierungschef Adnan Menderes wenig, dass sie über die Köpfe der Türken und Griechen auf Zypern hinweg einen Staat schufen, dessen Verfassung den Keim des Scheiterns in sich trug. So zögerte Karamanlis junior nun, den widerstrebenden Zypern-Präsidenten Papadopoulos zum Friedensschluss zu drängen.

Dies mag verständlich sein, klug ist es allerdings nicht. Denn der Annan-Plan strebt keinen ungerechten Friedensschluss an. Er vermeidet die Fehler der alten Verfassung. In dem vorgesehenen neuen Bundesstaat soll die Macht zwischen der griechischen und der türkischen Volksgruppe ausbalanciert sein.

Damit das funktioniert, müssten beide Seiten guten Willen zeigen. Aber es ist keineswegs sicher, dass es die Vereinigte Republik Zypern überhaupt geben wird. Bei den Bürgern der Insel liegt jetzt die Last und die Verantwortung, über die Wiedervereinigung zu entscheiden. Sie haben das letzte Wort, und es ist ein Wort mit großem Gewicht.

Die letzte geteilte Hauptstadt in Europa

Würde morgen abgestimmt, und nicht erst am 24. April, wäre das Ergebnis wohl klar. Auf türkischer Seite ist ein Ja zu erwarten, weil die Zypern-Türken damit viel mehr gewinnen als verlieren können. Bei den Griechen ist die Skepsis viel größer.

Diese wird untermauert durch den Auftritt von Papadopoulos in der Schweiz. Die Botschaft des Präsidenten ist eindeutig. Er ist gegen den Plan. Folgt ihm die Mehrheit seiner Mitbürger, hat die EU ein Problem: Sie bekommt ein neues Mitglied, die Republik der Zypern-Griechen, weil diese die Eintrittkarte schon in der Tasche hat.

Das neue Unionsmitglied aber hat sich schon vor Eintritt gegen den dringlichen Wunsch der EU gestemmt, die letzte geteilte Hauptstadt in Europa loszuwerden.

Die EU muss europafreundliches Verhalten der Türkei honorieren

Bei einem griechischen Nein und türkischen Ja muss sich die EU aber auch überlegen, wie sie den Zypern-Türken aus der Isolation helfen kann. Sie muss das Handelsembargo aufheben, und sie sollte das europafreundliche Verhalten der Türkei durch ein Ja zu Beitrittsverhandlungen im Dezember honorieren.

Eine Türkei, die sich enttäuscht von Europa und ihrem griechischen Nachbarn abwendet, birgt die Gefahr einer neuen Eiszeit im Mittelmeer. Und das ist das letzte, was Europa brauchen kann.

© SZ vom 2.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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