Kommentar:Die Formel der Freiheit

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Vor einem Jahr wurde auf dem Paradies-Platz in Bagdad Saddam vom Sockel gestoßen. Seitdem hat sich viel verändert, aber nicht wirklich viel getan.

Von Stefan Kornelius

Ein amerikanisches Panzerfahrzeug riss die Statue des Diktators zu Boden und eine kleine Menge freute sich. Ein Soldat rieb dem Standbild das Sternenbanner ins Gesicht, ehe sich doch noch eine irakische Fahne fand. Seitdem hat sich viel verändert, aber nicht wirklich viel getan. Die Invasion des Irak leidet noch immer an ihrem Geburtsfehler: Es gibt keine schlüssige Formel, wie das Land in Frieden leben kann.

Die Prophezeiungen über die Unregierbarkeit des Irak scheinen sich nun zu erfüllen. Religiöse Strukturen und Stammesgesetze verschaffen sich nach einem Jahr mit Gewalt ihren Platz, Widerstand und Anarchie weiten sich aus wie ein Buschfeuer.

Die Vereinigten Staaten, schon vor einem Jahr ohne Blumen empfangen, werden nicht als Heilsbringer, sondern immer mehr als Unterdrücker empfunden. In der weiten arabischen Welt ist der amerikanische Einfluss dramatisch geschwunden, Politik lässt sich nach westlichem Muster nicht gestalten. Die Demokratisierungs-These erweist sich bis heute als Kopfgeburt - gerade noch zu gebrauchen bei den eigenen Wählern zur Rechtfertigung eines sonst nicht gerechtfertigten Krieges.

Kultur-Kampf

Mit den Rauchschwaden über Falludscha und Nadschaf steigt ein apokalyptisches Szenario auf, eine Horror-Vorstellung für die liberalen, säkularisierten Gesellschaften des Westens: Sind dies die Vorboten des Kultur-Kampfes, des Guerilla-Krieges der Zivilisationen im 21. Jahrhundert?

Ist gar der Religionskrieg zurückgekehrt in unser Leben, das sich befreit wähnte von den archaischen Mustern des religiösen Extremismus? Der Aufstand im Irak und die Terror-Drohung verschmelzen zu einer kaum zu bewältigenden Bedrohung: Zu Beginn der Karwoche wurde bekannt, dass islamistische Terroristen die Osterpilger auf dem Petersplatz im Rom angreifen wollten.

Allein die Vorstellung gibt dem Konflikt eine religiöse Aufladung, der sich in Europa und Amerika niemand wird entziehen können. Ein Angriff des fanatischen Islam auf das Herz des Christentums - die globalisierte Welt wäre mit einem Schlag ins Mittelalter geworfen.

Wer dieser Logik nachgibt, der verhilft Terroristen und Extremisten zu ihrem vielleicht wichtigsten Sieg: Er nimmt den Konflikt zu ihren Bedingungen an. Wer die Werte des Christentums mit der pervertierten Form eines gewalttätigen Islam vergleicht und nach einer höheren Moral sucht, begibt sich auf eine schiefe Ebene. Dies ist kein Religionskrieg.

Angegriffen ist nicht das Christentum, und angegriffen sind auch nicht die USA, deren Präsident mit einer ganzen Kette von Fehlentscheidungen den Konflikt dramatisch verschärft hat. Angegriffen ist eine Lebensform, ist das Modell der Freiheit und der Liberalität.

Darin mögen sich Werte des Christentums finden, aber tatsächlich sind die westlichen Gesellschaften längst dem Nährboden der Religion entwachsen. Sie vereinen mehr als eine Glaubensrichtung und ein Weltbild in sich. Das erzeugt Freiheit, macht sie attraktiv und bewahrenswert. Wer sich in das enge Korsett der Religion begibt, der verliert in diesem Jahrhundertkonflikt mit dem Terror sein bestes Argument: Die Freiheit und Toleranz des liberalen und demokratischen Rechtsstaates.

Aber all die Beschwörungsformeln werden nichts nützen, solange die Dynamik dieser Auseinandersetzung von den Feinden der Freiheit bestimmt wird. Wie also lässt sich diese Dynamik drehen? Wie lautet die Zauberformel für die Beendigung des Konflikts? Zu Beginn des Kalten Krieges gab der amerikanische Diplomat George Kennan der Epoche ihre Überschrift: containment, Eindämmung.

Dem kommunistischen System wurden Grenzen gesetzt - geografisch und ideologisch. Es dauerte gleichwohl 40 Jahre, bis die Mauern fielen. Das terroristisch-islamistische Zeitalter verlangt nach einer anderen Formel: cooperation, Zusammenarbeit. Es ist fast schon eine Ironie der Geschichte, dass die Welt eine neue Begeisterung für Bündnisse entwickeln muss, und dies zu einer Zeit, in der die mächtigste Nation militärisch und ökonomisch so weit entrückt ist, dass sie glaubt, keine Allianzen mehr zu benötigen. Wahr ist freilich das Gegenteil: Weil die USA so stark sind, werden sie als Bedrohung empfunden.

Der Antiamerikanismus in Europa ist die milde Form dieses Misstrauens. Die Abstoßungs-Versuche in der arabischen Welt enden täglich in gewalttätigen Exzessen.

Die Vereinigten Staaten haben ihre Stärke nicht selbst verschuldet. Amerika führt, weil es groß, dynamisch, erfolgreich und selbstbewusst ist. Die Nation sieht sich dabei noch immer mehr als Heilsbringer denn als Hegemon. Aber zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung klaffen inzwischen Welten. Die Vereinigten Staaten sind handlungsunfähig, weil ein wichtiger Teil der Welt nicht mehr nach ihrem Plan spielen will.

Washington wollte diesem Dilemma entkommen, indem es einen Masterplan nachschob für die Befriedung einer Region, den man den "Erweiterten Nahen Osten" nannte. Aber der Plan scheiterte schon wieder daran, dass er nicht in Kooperation entstanden war. Also wurde er als Diktat empfunden, obwohl er zumindest in Teilen vernünftig und sinnvoll gewesen wäre.

Logik der Wahl

Die Regierung Bush verkennt, dass sie nicht Richter, Makler und Ordnungshüter in einem sein kann. Und sie verkennt - ganz trivial - die gegen sie gerichtete Dynamik des eigenen demokratischen Kalenders. Amerika befindet sich im Krieg, aber mehr noch befindet es sich in einem Wahljahr.

Der Präsident verliert seine Glaubwürdigkeit, die Innenpolitik schreit nach einem Verantwortlichen für den 11. September, und im Kongress veranstalten sie das Schauspiel Scheinprozess, wie sie es bereits unter Clinton eingeübt hatten. Dies sind legitime Methoden der politischen Auseinandersetzung, die in Amerika allemal robuster geführt wird als in Deutschland. Dies sind aber alles auch die falschen Schlachten einer zutiefst gespaltenen Nation, die es verlernt hat, die Welt anders als durch die eigene Brille zu sehen.

Vielleicht ist es eine große Schwäche von Demokratien, dass sie in Phasen der inneren Veränderung - also besonders zu Wahlzeiten - angreifbar sind. Amerika jedenfalls wird bis zu diesem Wahltag im November angreifbar bleiben und seine Politik nicht substanziell ändern können: nicht gegenüber den Verbündeten, weil diese insgeheim einen Regierungswechsel ersehnen; nicht im Irak, weil auch Aufständische und Terroristen den 2. November im Kalender eingetragen haben; nicht vor der eigenen Bevölkerung, weil die Schwächen am 2. November bestraft; und nicht im Schlüsselkonflikt Nahost, weil in Israel wie in den palästinensischen Gebieten alle amerikanische Politik in Wählerstimmen umgerechnet wird.

Eine Zauberformel zum Heil der Welt? Nicht zu Ostern - aber vielleicht im November.

© SZ vom 9.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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