Kommentar:Der verlorene Frieden

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Wer Krieg führt, sollte den Frieden vorbereiten. Amerika aber hat weder alle Eventualitäten des Krieges vorausgesehen noch ausreichende Vorbereitungen für den Aufbau eines friedlichen Irak getroffen.

(SZ vom 14.11.2003) - Die Römer, mit deren Imperium manche Neokonservative das amerikanische Weltreich neuerdings gern vergleichen, befolgten bei der Befriedung ihrer kolonialen Liegenschaften die Maxime: "Wer den Frieden wünscht, möge den Krieg vorbereiten." Der Satz gilt, nur geringfügig abgewandelt, auch umgekehrt. "Wer Krieg führt, möge den Frieden vorbereiten." Sonst wird der Krieg verlustreicher sein und länger dauern, als die politischen und militärischen Strategen ihn geplant haben.

In dieser Lage finden sich heute die USA im Irak wieder. Nachdem sie in einem weitgehend mühelosen Feldzug Bagdad erobert hatten, betrachteten die meisten der 24 Millionen Iraker die Invasoren als Befreier - obwohl die Menschen die vielen anderen Motive, welche zu dem Feldzug geführt hatten, realistisch einschätzten.

Doch Amerika hatte, wie sich im Laufe des vergangenen halben Jahres herausstellte, weder alle Eventualitäten des Krieges vorausgesehen noch ausreichende Vorbereitungen für den Aufbau eines friedlichen Irak getroffen.

Die Weltmacht wollte die Anhänger Saddam Husseins in einen tief sitzenden "Schock" und eine dauerhafte "Ehrfurcht" versetzen, wie sich Donald Rumsfeld bei Kriegsbeginn ausdrückte. In Schock und Ehrfurcht sollten fortan auch alle Terroristen leben, die danach trachteten, die wegen ihres Ölreichtums heiß begehrte Region zwischen Afghanistan und Saudi-Arabien den Amerikanern streitig zu machen.

Doch nun haben Schock und Ehrfurcht eher die Amerikaner ergriffen. Sie sehen sich einem wachsenden Widerstand und einer desillusionierten Bevölkerung gegenüber. Denn der Jubel vom April hat sich als verfrüht erwiesen.

Zwar haben die Amerikaner Saddams ursprüngliche Absicht vereitelt, den irakischen Verteidigungskampf bis in den Sommer hineinzuziehen und die erschöpften Kräfte von Amerikanern und Briten dann bei Temperaturen von bis zu 50Grad in einen Häuserkampf zu verwickeln.

Zahlreiche Waffendepots

Nun aber müssen sich die USA mit Variante zwei dieses Planes auseinander setzen. Offenbar haben Saddam und der von ihm vor dem Krieg als Verteidiger des Nordirak eingesetzte Izzat Ibrahim al-Duri bei Falludscha, Baquba, Mosul und in Bagdad zahlreiche Waffendepots angelegt.

Die einst von Udai Hussein geschaffene Freischärlergruppe der Fedajin Saddam dürfte sich aus diesen Depots ebenso munitionieren wie, möglicherweise, Guerillakämpfer, welche aus Syrien und Saudi-Arabien eingesickert sind.

Neben dem immer besser organisierten, zunächst auf das "sunnitische Dreieck" des Nordens konzentrierten Widerstand ist in den vergangenen Tagen auch der Süden vom Terror heimgesucht worden. Weil die Schiiten besonders unter dem Joch Saddams gelitten hatten, war hier zumindest bei einigen gemäßigten Gruppen die Sympathie für die Kriegskoalition noch größer als im Norden. Der Anschlag auf die Basis der Italiener in Nassirija könnte nun ein Hinweis darauf sein, dass radikalere Schiiten durch ihre Terroranschläge nicht nur die Ausländer vertreiben wollen.

Ein Weiteres ihrer Ziele ist es womöglich, die Gemäßigten unter ihren Glaubensbrüdern von jedweder Kooperation mit den dort stationierten Italienern und Polen abzuschrecken. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Urheber des Attentats von Nassirija bei al-Qaida zu suchen sind. In einer Osama bin Laden zugeschriebenen Tonbandansprache hat die Terrororganisation vor einigen Wochen allen Nationen gedroht, welche im Irak mit den USA zusammenarbeiten.

Die tiefere Ursache für die Misere liegt in der mangelnden Vorbereitung des Friedens. Die Besatzungstruppen haben bis heute nicht verhindert, dass Iraker Raub, Mord, Überfällen, Entführungen und Terroranschlägen ausgesetzt sind. Dieses Chaos wäre wahrscheinlich zu verhindern gewesen.

Denn viele Offiziere und Mannschaften der regulären Armee und viele Mitglieder der Parteikader waren - wie in Diktaturen üblich - aus Opportunismus, ebenso oft aber auch aus Angst vor Verfolgungen der Geheimdienste auf Seiten des Regimes. Hätten die Amerikaner diese Armee der Kooperationsbereiten sofort wieder rekrutiert - und gut bezahlt -, lebten viele Iraker heute sicherer.

Demokratischer Übereifer und die Sorglosigkeit des überlegenen Siegers haben jedoch zu einer fatalen Fehlentscheidung geführt: der Auflösung der irakischen Armee. Der Vertrauensverlust bei der Bevölkerung ist fast irreparabel. Wie Gefangene leben die Menschen zwischen hilflosen Besatzern und skrupellosen Gewalttätern aller Art.

Ob wirklich alles besser gekommen wäre, hätten die Amerikaner nicht nur ihren Krieg, sondern auch den Frieden sorgfältig vorbereitet, ist allerdings zweifelhaft. Wer die Stammesstrukturen der Region kennt, wer die Animositäten zwischen ihren divergierenden Ethnien und Religionen in Rechnung stellt, wer vor allem die wegen ihrer Israelpolitik weit verbreitete Kritik an den USA richtig einschätzt, verhält sich in der Region anders, als Washington dies bisher tut.

Krieg als Fortsetzung der Politik war immer ein zweifelhaftes Konzept.Wie viele Kriege zuvor, führt auch der Irakkrieg nicht zum Frieden, sondern zu neuem Krieg. Saddam ist nicht besiegt. Und im bisher von al-Qaida verschonten Irak wütet nun auch Osama bin Laden.

© Von Heiko Flottau - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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