Kommentar:Der Packesel Gottes

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Als vor einem Jahr aus Kardinal Joseph Ratzinger, dem Glaubenswächter, Papst Benedikt XVI. wurde, da fürchteten die einen und hofften die anderen, der neue Chef der größten Glaubensgemeinschaft der Welt werde nun kräftig durchregieren. Er werde erklären, was katholisch ist und was nicht, die Abweichler zur Ordnung rufen, dem Rest der Welt zeigen, wo er falsch liegt.

Matthias Drobinski

Hatte nicht Joseph Ratzinger noch kurz vor dem Konklave die "Diktatur des Relativismus" beklagt? War es nicht der Präfekt der Glaubenskongregation gewesen, der immer dann auf den Plan trat, wenn es um die Grenzen des Katholischen ging?

Es spricht für Papst Benedikt, dass er weder den Hoffnungen noch den Befürchtungen entsprochen hat. Im Gegenteil: Das Tastende, Leise, manchmal geradezu Schüchterne ist das Bezeichnende seines ersten Amtsjahres gewesen, so sehr, dass sich gerade in Deutschland mancher Katholik die Augen reibt und fragt: Ist das der Joseph Ratzinger, den wir nur allzu gut zu kennen glaubten?

Johannes Paul II., Benedikts Vorgänger, war oft brachial; er setzte medienwirksam Zeichen, machte weltverändernde Politik. Er trat als Schauspieler auf, der eine Menge von zwei Millionen Jugendlichen in Begeisterung versetzen konnte. Sein Nachfolger hat gar nicht erst versucht, Karol Wojtylas Auftritte zu imitieren. Er hat die päpstliche Amtsführung entschleunigt, die Zahl der Reisen und Arbeitsessen genauso begrenzt wie die Länge der Ansprachen. Seine Symbolik entspringt dem Zufall, wenn zum Beispiel beim Weltjugendtag der Wind dem Papst den Pileolus vom Kopf weht und das Zeremoniell durchbricht.

Joseph Ratzinger achtete als Präfekt der Glaubenskongregation auf die Einhaltung selbst entlegener Regeln, auch, weil dies zu seinem Amt gehörte. Als Papst Benedikt XVI. konzentriert er sich auf das Grundsätzliche des Glaubens, auf seine Kraft, seine Schönheit. Seine erste Enzyklika "Deus Caritas est" ist gerade deshalb programmatisch, weil sie kein Programm verkündet. Sie philosophiert im ersten Teil über die Liebe als Basis des Glaubens - eine umfassende Liebe, die den Eros so einschließt wie den Sozialdienst.

Keine Moralpredigt

Benedikt XVI. spart sich wohltuenderweise die Moralpredigt, die Johannes Paul II. wohl an dieser Stelle begonnen hätte. Der zweite, politische Teil dagegen ist weniger genau formuliert und durchdacht - angeblich hat der Papst einen bereits vorliegenden Entwurf verarbeitet. Er gibt den Stand der katholischen Soziallehre wieder, aber er entwickelt wenig Neues; die Frage, wie sich die Kirche der Globalisierung stellen soll, bleibt undiskutiert.

So zeigt die erste Enzyklika die Chance, aber auch das Risiko der aufs Innere und Innerliche hin gewendeten Amtsführung des neuen Papstes. Die Chance besteht darin, dass der Papst den Kern des Christlichen verstärkt herausstellt, der in den vergangenen Jahren manchmal unter den Konflikten um die Sexualmoral verborgen zu sein schien.

Ein Kirchenreformer wird Papst Benedikt XVI. dadurch noch lange nicht werden - er hat viel zu lange die Linie seines Vorgängers mitformuliert, um sie grundlegend ändern zu können. Aber schon der Stilwechsel könnte der katholischen Kirche viel verlorenes Vertrauen wiedergewinnen. Selten war die Grundstimmung dafür so günstig.

Die Gefahr wiederum liegt darin, dass eine aufs Innere konzentrierte Kirche keine Antworten mehr findet in einer dramatisch sich wandelnden Welt und zunehmend um sich und die eigene ehrwürdige Schönheit kreist. Die katholische Kirche wird ihre Rolle im Globalisierungsprozess klären müssen.

Sie wird immer neu das Verhältnis von Glaube, Wissenschaft und moderner Welt bestimmen müssen. Sie muss aber auch ihre inneren Probleme angehen, die im ersten Amtsjahr des neuen Pontifex nicht kleiner geworden sind: Wie soll das Priesterbild der Zukunft aussehen, welche Mitsprache sollen die Laien, welche Gestaltungsmöglichkeiten die Ortskirchen haben, wie weit darf das Meinungsspektrum innerhalb der Kirche sein?

Rückzug der Kirche möglich

Im schlimmsten Fall könnte sich die katholische Kirche resignativ-polemisch auf den Bereich der Rechtgläubigen zurückziehen - das Wort von der "Diktatur des Relativismus", der die Kirche einen klaren Glauben entgegenzusetzen hat, hat Papst Benedikt XVI. bislang durch nichts relativiert. Doch viele kleine Schritte des neuen Papstes deuten in eine andere Richtung: Joseph Ratzinger hat die Bedeutung der Ökumene betont, sich mit Juden und Muslimen getroffen, einen Kritiker wie Hans Küng zu sich eingeladen, erste Schritte hin zu mehr Kollegialität unter den Bischöfen und zu einer Kurienreform getan.

Das Pontifikat Papst Benedikts XVI. ist ein Pontifikat der kleinen Schritte - und das wird es wohl auch bleiben. Der Kirchenvater Aurelius Augustinus hat einst ein schönes Bild für seine Arbeit gefunden: Er sei, so sagter er, der ¸¸Packesel Gottes", der das bisschen Last, das er tragen könne, mit tippelnden Schritten vorantrage, nicht zu schnell, aber stetig. Joseph Ratzinger hat dieses Gleichnis in seiner Lebensbeschreibung übernommen. Der Packesel Gottes: Das ist nicht die schlechteste Beschreibung für einen Papst.

© SZ vom 18.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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