Kommentar:Der Machtkampf

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Die Sozial- und Gesundheitspolitik ist nur Anlass, nicht Ursache des erbitterten Duells zwischen Angela Merkel und Edmund Stoiber. Es geht um eine Richtungsentscheidung: Es stehen eine eher soziale und eine eher kapitalistische Grundhaltung gegeneinander. Warum Stoiber bei diesem Streit einen taktischen Vorteil hat.

Von Heribert Prantl

Sie ist die mächtigste Frau seit Maria Theresia. Seit der Kaiserin hat es im deutschen Sprachraum keine Frau mehr so weit gebracht wie Angela Merkel.

Sie hat ihre Vorgänger Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble weggeräumt, sie ist unangefochten Vorsitzende der CDU, sie ist unumstritten Chefin der Unionsfraktion im Bundestag, sie dirigiert nach Gutdünken die Regionalkonferenzen ihrer Partei, die soeben wieder beginnen und bei denen sich selbst berechtigte Kritik an ihrer Sozialpolitik kaum äußern wird.

Angela Merkel hat die ordentlichen Parteigremien entmündigt, im Präsidium und in der Fraktion wird kaum mehr beraten und diskutiert. Sie ist eine besessene Kunsthandwerkerin der Macht. Sie beurteilt die Positionen, die sie einnimmt, vor allem danach, ob und wie sie die Machtposition der Parteichefin befördern. Angela Merkel ist eine Frau von unerhörtem Ehrgeiz.

Diese unstillbare Eigenschaft teilt sie mit Edmund Stoiber. Der Chef der CSU hat diese Partei, noch viel stärker als Franz Josef Strauß, zur Ein-Mann-Partei gemacht. "Hier steht ein Ministerpräsident, der brennt", so hat er vor einem guten Jahr, leistungsfähig bis zum Umfallen, im bayerischen Landtagswahlkampf gesagt.

Ergebnis der Bundestagswahl als Irrtum der Geschichte

Und es ging ihm damals nicht so sehr um Wohl und Wehe Bayerns, sondern um Rache für Berlin und für die knappe Niederlage gegen Gerhard Schröder. Für Stoiber war und ist das Bundestagswahlergebnis von 2002 ein Irrtum der Geschichte und sein glänzendes Landtags-Wahlergebnis von 2003 der Versuch des Einstiegs in eine Geschichts-Korrektur; sein Ehrgeiz, als erster deutscher Ministerpräsident einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, ist dessen Fortsetzung.

Stoiber brennt, er brennt auf Revanche. Und weil Merkel auch brennt, sind die beiden dabei, die Union anzuzünden - kaltes Feuer auf der einen Seite, heißes auf der anderen.

Ist das ein Machtkampf in der Union? Was sonst! Angezettelt hat ihn Angela Merkel. Sie hat auf dem CDU-Parteitag Stoiber von ihren Delegierten düpieren lassen, sie hat sodann die Abmachung gebrochen, dass nicht zur Vor- und Unzeit inoffiziell die Kanzlerkandidatenfrage beantwortet wird.

Nun vergeht keine Woche mehr, in der nicht aus Bayern das System Merkel, zu dem auch der "Leichtmatrose" Westerwelle gehört, sekkiert wird. Stoibers entscheidendes Problem befindet sich freilich außerhalb seiner Sphäre: Selbst wenn die CDU weder bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein noch bei denen in Nordrhein-Westfalen den Machtwechsel hinkriegt, selbst wenn Merkels Macht dann ins Trudeln gerät - Stoibers Ambitionen wird das nicht sehr befördern.

Es ist unwahrscheinlich, dass die CDU ein zweites Mal den CSU-Mann zum Kandidaten ausruft. Da müsste die Verzweiflung schon groß und das Selbstwertgefühl der CDU sehr klein werden. Stoiber mag freilich hoffen: Wenn der Teufel, wie man sagt, in der Not Fliegen frisst, dann die CDU auch noch einmal mich.

Die Sozial- und Gesundheitspolitik ist nur Anlass, nicht Ursache des Machtkampfes; aber sie ist des Streitens wert. Es geht um eine Richtungsentscheidung; da stehen eine eher soziale und eine eher kapitalistische Grundhaltung gegeneinander.

Stoiber hat bei diesem Streit einen taktischen Vorteil. Für ihn ist der Streit um die Kopfpauschale erst einmal ein Sachproblem; für Merkel ist er ein Autoritätsproblem. Sie hat sich, um ihr damaliges Image der Entschlusslosigkeit abzuschütteln, vor einem Jahr ohne Zögern die unbedachten Vorschläge der Herzog-Kommission zu eigen und zur CDU-Politik gemacht - und dann die Uneinigkeiten mit der CSU einfach laufen lassen.

Sie hat damals Autorität geschöpft, weil sie sich so wildentschlossen zeigte. Jetzt zeigt sich, dass diese Entschlossenheit kein gutes Fundament hat. Zwar ist das Prinzip richtig, die Gesundheitskosten vom Lohn abzukoppeln. Aber der soziale Ausgleich via Steuern ist schwer praktikabel und mit den propagierten Bierdeckel-Steuerreformen unvereinbar. Merkel fürchtet, wenn sie das eingesteht, um ihre Autorität.

Stoiber dagegen fürchtet um die Akzeptanz der Union als Volkspartei - und damit um ihre Wählbarkeit. Er ahnt, dass ein Wahlkampf, den die SPD gegen die Kopfpauschale führt, für die Union fürchterlich würde. Die Unionisten auf der Straße wären den eingängigen Gegenargumenten ziemlich hilflos ausgeliefert.

Stoiber will gestalten - gegebenenfalls auch in einer großen Koalition

Bei den Regionalkonferenzen kann sich Merkel mit der Kopfpauschale noch durchsetzen, auf der Straße nicht. Es wird dort nicht gelingen, die Verlässlichkeit eines sozialen Ausgleichs zu vermitteln, der davon abhängt, ob und wie der staatliche Steuersäckel gerade gefüllt ist.

Die Union verlor 1998 die Wahl spektakulär, weil sie die kleinen Leute arg verschreckt hatte. So kam es damals zur Wende. Mit ähnlichen Fehlern könnte sie 2006 die neue Wende verpassen. Das ist die Sorge von Stoiber.

Der Machtkampf ist also auch Sachkampf. Stoiber will Bundespolitik gestalten - als Kanzler, als Minister, gegebenenfalls auch in einer großen Koalition. Er hat nicht nur persönlichen, sondern auch sachlichen Ehrgeiz. Letzteren hat Merkel bisher nicht glaubhaft darstellen können. Bei der eingangs genannten Kaiserin war das übrigens anders.

© Süddeutsche Zeitung vom 8. Oktober 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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