Kommentar:Defensive Offensive

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Der Wahlparteitag der SPD war eine über weite Strecken traurige Veranstaltung. Er hat nur skizziert, wie viel Unheil die SPD durch einen Wahlsieg verhindern würde. Ein klares Bild dessen, was die Sozialdemokratie stattdessen machen würde, zeichnete er nicht.

Christoph Schwennicke

Die Siegessicherheit, die SPD-Chef Franz Müntefering und Bundeskanzler Gerhard Schröder auszustrahlen versuchen, bekommt zunehmend verkrampfte Züge. "Die SPD in ihrem Lauf halten weder Merkel noch Kirchhof auf", reden sie sich in Trance, während unter den Füßen das Fundament schon bröckelt.

Kaum ein Funken Spannung lag über dem Saal, leere Mienen, matter Beifall und ein Kanzler, dem phasenweise das Gesicht gefror, prägten den Parteitag. (Foto: Foto: AP)

Intensivere parapsychologische Vorstellungen hegen unter den zur Bundestagswahl antretenden Parteien nur noch die Yogischen Flieger. Die sind der Meinung, wenn nur eine Million Menschen überall auf der Welt eine Zeit lang gemeinsam in der Hocke über dem Boden schwebten, werde alles gut auf der Erde.

Aber Simulation und Selbsthypnose haben ihre Grenzen. Und ein Parteitag legt bei aller Inszenierung immer noch die wahren Gemütszustände der Delegierten bloß. Um es geradeheraus zu sagen: Der Berliner Wahlparteitag der SPD war eine über weite Strecken traurige Veranstaltung.

Als hätte sich die Parteiführung vorgenommen, ein vorsätzliches Kontrastprogramm zur bombastischen Veranstaltung der CDU in Dortmund zu präsentieren, drohte der SPD-Konvent schon zu verläppern, noch ehe Gerhard Schröder oder Franz Müntefering einen einzigen Satz gesagt hatten.

Ein fades Unterstützer-Grußwort reihte sich ans nächste. Kaum ein Funken Spannung lag über dem Saal, leere Mienen, matter Beifall und ein Kanzler, dem phasenweise das Gesicht gefror, prägten den Parteitag. An diesem Mittwoch gab es in Berlin wohl nicht mehr viele SPD-Sympathisanten, die nicht persönlich auf dem Podium erschienen oder einen Text verlesen ließen.

Es erinnerte an die Durchhalteparolen einer bereits geschlagenen Armee, wenn in dieser Situation von der SPD behauptet wird, aufgrund der Kampfkraft der eigenen Truppen stehe der Sieg unmittelbar bevor.

Gerhard Schröder hat eine scheinbar offensive, teilweise aggressive Rede gehalten, die in Wahrheit eine defensive war. Er hat angegriffen (Angela Merkel und Guido Westerwelle), er hat angeklagt (ein finsteres Meinungskartell gegen die SPD), er hat polemisiert (über ein sozial kaltes Deutschland unter Schwarz-Gelb und "diesen Professor aus Heidelberg", gemeint war Paul Kirchhof).

Er hat nur skizziert, wie viel Unheil die SPD durch einen Wahlsieg verhindern würde. Ein klares Bild dessen, was die Sozialdemokratie stattdessen machen würde, zeichnete er nicht. Das sollte einen positiven Reiz auf jene oppositionellen Teile der SPD ausüben, die Schröder nach seiner eigenen Aussage sieben Jahre lang das Regieren schwer gemacht haben. Was das innerparteiliche Gefüge angeht, hat man selten einen populistischeren Gerhard Schröder erlebt als an diesem Mittwoch in Berlin.

Neue Dimension der Hilflosigkeit

Das Schimpfen auf den Gegner, das Wettern gegen eine feindliche Medienmacht und die Demoskopie dokumentieren mehr als nur eine normale Verschärfung des Tones in der Endphase des Wahlkampfs.

Es steht für eine neue Dimension der Hilflosigkeit, wie man sich der Abwahl noch in den Weg stellen könnte. Die Union gibt den Ton an und die Themen vor. Es ist nicht vorstellbar, was der SPD und Schröder nun noch zur Hilfe kommen könnte. Es müsste schon die Dimension einer falschen Steuererklärung von Paul Kirchhof sein.

Die SPD hat das Spiel der Autosuggestion für dieses Mal mitgemacht. Dass in Wahrheit von maßgeblichen Politikern der Sozialdemokratie schon weniger über den 18.September als über den 19.September geredet wird, blieb noch unterdrückt, für dieses Mal. Es sollte das letzte Mal bleiben. Die SPD steht vor einem Tiefpunkt ihrer Parteigeschichte, vor einem Desaster, das auch nicht durch die markigen Worte des SPD-Chefs Franz Müntefering bemäntelt werden kann.

Spätestens auf dem Parteitag im November in Karlsruhe wird die Sozialdemokratie definieren müssen, wie sie sich ihre Zeit nach der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder vorstellt, mit welchen Inhalten, aber auch mit welchen Köpfen.

Das Reservoir frischer Kräfte ist nach sieben verschleißreichen Regierungsjahren nicht sehr groß. Umso dringender müssen Spitzenpolitiker wie Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel, Heiko Maas und Andrea Nahles an Plätze gesetzt werden, die bisher noch vom Ancien Regime okkupiert werden, von Politikern wie Heidemarie Wieczorek-Zeul und Wolfgang Thierse, die nicht wahrhaben wollen, dass ihre Zeit vorbei ist.

Keiner will den Anfang machen

Die nächste Generation weiß, dass sie zusammenhalten muss, um die Partei wieder regierungsfähig zu machen. Im Moment aber ist das gegenseitige Misstrauen stärker als die einigende Kraft des Zieles. Jeder belauert jeden, und keiner will den Anfang machen.

Angela Merkel, die Kanzlerkandidatin der Union, kam in einer ähnlichen Situation die Parteispendenaffäre zugute, um den Bruch mit der alten CDU von Helmut Kohl zu vollziehen. Ein Ereignis dieser Dimension ist bei der SPD nicht in Sicht. Aber ein Wahlergebnis in der Gegend von 30 Prozent wäre Grund genug, mit dem Neuaufbau keine Zeit zu verlieren.

Denn für die SPD steht im Jahr 2005 mehr auf dem Spiel als bloß eine Niederlage bei einer Bundestagswahl. Wenn es schlimm kommt, steht sogar ihre Existenz als Volkspartei auf dem Spiel.

© SZ vom 1.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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