Kommentar:Botschaften aus Bagdad

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Ein Jahr nach Beginn des Irak-Kriegs ist offenbar: Washingtons Weltenlenker haben sich verrechnet. Die Bilanz des Irak-Abenteuers könnte kurz ausfallen: ein Desaster auf der ganzen Linie. Doch so einfach ist es nicht.

Von Peter Münch

Selten hat die Geschichte die Politik so schnell Lügen gestraft wie beim Irak-Krieg. Schon ein Jahr danach ist es eine Zeitverschwendung, sich noch mit den Begründungen für diesen Feldzug aufzuhalten.

Ob Massenvernichtungswaffen oder Terror-Kontakte - das Gebäude der Anklage gegen das Regime war so wacklig konstruiert, dass es gleich nach dem Wüstensturm zusammenbrach. Für das Ansehen der Bush-Regierung zu Hause ist das problematisch, für das Ansehen Amerikas in der Welt erschütternd.

Washingtons Weltenlenker haben sich verrechnet, und die Bilanz des Irak-Abenteuers könnte kurz ausfallen: ein Desaster auf der ganzen Linie, mithin eine Lehre für alle, künftig die Finger von solchen Unternehmungen zu lassen.

Bushs Ziele: Mehr als hohle Postulate

Doch so einfach ist es nicht. Denn selbst wenn die Begründung für den Krieg falsch war - die Kriegsziele waren es nicht. Wer möchte behaupten, dass es nicht im Interesse aller wäre, was George Bush einst formulierte: erstens den Irak nach dem Sturz Saddam Husseins zu einem Demokratie-Nukleus für die gesamte Krisenregion des Nahen Ostens zu modellieren, und zweitens den ganzen von Gewalt bedrohten Globus wieder sicherer zu machen.

Das sind nicht nur hohle Postulate, sondern dies ist tatsächlich das Programm der Weltpolitik für das 21. Jahrhundert.

Nahost ist die Schlüsselregion für den Weltfrieden, die Brutstätte für den viel zitierten Clash zwischen radikalen Islamisten und dem Westen. Die rückständigen Gesellschaften mit einem enormen Potenzial für innere und äußere Konflikte müssen sich verändern, müssen demokratischer, offener, sicherer werden.

Irgendwo und irgendwie musste damit angefangen werden. Warum also nicht, provokativ formuliert, durch den Sturz des irakischen Schurken, um eine Exempel zu statuieren und um Veränderungen anzustoßen?

Richtige Ziele mit falschen Mitteln verfolgt

Die US-Regierung mag also klar verurteilt werden für ihre Tricks und Täuschungen. Doch gemessen werden muss die Irak-Mission daran, ob mit den falschen Mitteln nicht doch die richtigen Ziele verfolgt werden.

Aus Washington ist dazu zum Jahrestag ein trotziges Eigenlob zu hören. Vieles sei erreicht worden, eine lange Liste wird präsentiert: Das irakische Volk ist von der Diktatur befreit; Saddam ist vom Präsidentenpalast erst in ein Erdloch und dann in eine Gefängniszelle gezogen; es gibt eine Übergangsverfassung, die liberaler ist als alles, was in der Region bekannt ist; und schon in hundert Tagen wollen die Besatzer die Macht an eine irakische Regierung übergeben.

Stimmt alles - doch der Fortschritt bleibt leider doch nur ein Versprechen. Tatsächlich balanciert das befreite irakische Volk auf dem Pfad der Demokratie ganz nah am Abgrund entlang. Es droht der Absturz in den Bürgerkrieg.

Feind gestärkt, nicht bekämpft

Der Terror von Bagdad über Basra bis nach Madrid zeigt außerdem, dass die Welt nicht sicherer, sondern durch diesen Krieg gefährlicher geworden ist. Nachdem der Anti-Terror-Einsatz I in Afghanistan den Gotteskriegern ihre Heimstatt genommen hatte, schenkte ihnen der Anti-Terror-Einsatz II im Irak ein neues Schlacht- und Legitimationsfeld.

Fazit: Der Feind, den es zu bekämpfen galt, wurde gestärkt. Die Diktatur wurde zunächst nur durch das Chaos ersetzt.

Als Werkzeug eines selbst postulierten Weltwillens ist Amerika im Irak gescheitert. Und auch darüber hinaus hat die Bush-Regierung nicht einmal ihr Bündel nationaler Interessen befriedigt. Da ist das immer wieder unterstellte Öl-Motiv: An dem vermeintlichen Reichtum des Landes dürfte bis heute keiner Freude haben in Washington.

Amerika-freundliche Regierung im Irak eher unwahrscheinlich

Zwar besitzt der Irak die zweitgrößten Vorkommen der Welt, aber die Förderanlagen sind verrottet, an einen profitablen Betrieb ist nicht zu denken. Wiederaufbau und Besatzung reißen ein Riesenloch in den US-Haushalt: 78 Milliarden Dollar sind allein in diesem Jahr veranschlagt.

Auch die Installation einer Amerika-freundlichen Regierung in Bagdad ist angesichts des Hasses, den die Besatzung ausgelöst hat, eher unwahrscheinlich. Folglich wird es auch nichts mit den geostrategischen Zielen: der erhofften Unabhängigkeit vom feindlichen Freund Saudi-Arabien sowie der Einkesselung des Erz-Störenfrieds Iran. Vielmehr droht bei einer Machtübernahme der Schiiten im Irak eine Achse Bagdad-Teheran.

Bei Rückzug Chaos

Eine solche Bilanz könnte dazu verführen, das Projekt sofort als gescheitert abzubrechen. Dies jedoch hätte verheerende Folgen: Chaos und Instabilität würden gestreut. Was begonnen wurde, muss also zu Ende gebracht werden. Und nicht nur Amerika, sondern der gesamte Westen ist gefangen im Nahen Osten.

Ein Rückzug der Truppen aus dem Irak ist deshalb auf mehrere Jahre ausgeschlossen. Auch die Nato wird sich einem Einsatz nicht verschließen, und Berlin wird sich nicht mehr so leicht hinter dem Hindukusch wegducken können.

Das Irak-Projekt jedoch hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn es eingebettet wird in ein Programm für die Region. Die niederschmetternden Kriegserfahrungen könnten zumindest die Einsicht befördern, dass in den friedlichen Wandel und den Aufbau neuer Strukturen endlich so viel Kraft investiert werden muss wie sonst in die militärische Zerschlagung alter Strukturen. Genau dies verspricht die von Washington formulierte Greater Middle East Initiative, die wieder einmal das Konzept des Marshall-Plans - diesmal für die arabische Welt - strapaziert.

Demokratie ist ein zweischneidiges Ding

Doch auch dieses Konzept belegt, dass für den Westen der Nahe Osten noch ziemlich fern und fremd ist. Die Initiative geht von der falschen Prämisse aus, dass die Region erst demokratisiert und dadurch befriedet werden soll.

Abgesehen davon, dass sich die arabischen Gesellschaften vom Westen nichts oktroyieren lassen, gibt es noch ein viel grundlegenderes Problem: Wer garantiert denn, dass die Demokratie dort westlichen Wünschen entsprechen würde? Algerien hat in den neunziger Jahren Erfahrungen gemacht mit einem Wahlerfolg der Islamisten. Auch in Saudi-Arabien würden kaum die Liberalen siegen. Selbst Jordanien ist gefährdet. Demokratie also ist ein zweischneidiges Ding in dieser Weltgegend.

Versprechen vom Frieden in Palästina nicht erfüllt

Doch man könnte die Initiative vom Kopf auf die Füße stellen: erst die Region befrieden und dadurch einen Impuls zur Demokratisierung geben. Dazu müsste der Fokus endlich wieder auf ein Problem gerichtet werden, das vor einem Jahr durch den Irak-Krieg bewusst vertagt wurde - auf den israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt.

Aus dieser Quelle werden radikale Strömungen in der arabischen Welt gespeist, dieser Konflikt vergiftet das Klima.

George Bush hatte bei Kriegsbeginn versprochen, über die Demokratisierung der Region zum Frieden in Palästina zu kommen. Das hat sich nicht erfüllt. Wenn Bush sein Versprechen ernst meinte, müsste er nun die Strategie umdrehen und über den Frieden in Palästina zur Demokratisierung der Region kommen. Nur so könnte er wieder gutmachen, was er durch den Krieg zerstört hat.

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