Kommentar:Arafats Erbe

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Wie in seinem Leben, so gab Jassir Arafat auch jetzt eine beeindruckende Vorführung seiner Macht. Der zähe Kampf vor seinem Tod zeigte, über welchen Einfluss das Symbol, die Figur, die Idee hinter Arafat noch gebot.

Von Stefan Kornelius

Als der sowjetische Diktator Stalin in seiner Datscha sterbend am Boden lag, standen Berater und Wächter unschlüssig und zitternd daneben und rührten ihn nicht an. Selbst im Tod verbreitete Stalin Angst und Schrecken. Arafats Ende war in ähnlicher Weise symbolgeladen.

Der Palästinenser-Präsident durfte nicht sterben, weil ein plötzlicher Tod unkontrollierbare Prozesse hätte auslösen können. Schon die Vorstellung vom Ende führte in den vergangenen Tagen zu einem gefährlichen Rumoren in den Palästinensergebieten.

Der Tod, so die Befürchtung, würde einen Sog erzeugen, der alle bestehende Ordnung hätte hinwegfegen können. Arafat durfte außerdem nicht sterben, weil die Verfügung selbst über den Körper des Toten ein Ausweis neuer Macht und Legitimität war. Und diese Verfügungsgewalt musste zunächst geklärt werden.

Eine neue Macht geschaffen

Die Politiker-Riege aus Ramallah, die dem Präsidenten noch die letzte Ehre erwies, hatte sich mit der Reise nach Paris auch neue Macht geschaffen. Wer den toten Arafat in Händen hält, der bewahrt auch das Erbe - mit dieser Symbolik spielen der palästinensische Ministerpräsident Achmed Kurei und der amtierende PLO-Chef Machmud Abbas.

Und selbst Arafats entfremdete Frau Suha war sich der Kraft des Toten bewusst. Als sie ihn letztlich losließ, gab sie auch den letzten Zipfel Teilhabe an dem politischen Symbol preis.

Suha Arafats obszöne Wächterrolle am Totenbett beleuchtete die internen Kämpfe, die in den vergangenen Tagen um das Erbe ausgetragen wurden. Und sie warf ein grelles Licht auf die nicht nur materielle Verfügungsmasse Arafats. Der Palästinenser-Präsident war schon in den letzten Jahren der Isolation zu einer weltpolitischen Randfigur geschrumpft.

Immenses Verhinderungspotenzial

Aber sein Verhinderungspotenzial war nach wie vor immens, seine Fähigkeit zur Intrige mit Hilfe von Schranzen nicht minder groß. Jetzt ist all dies Geschichte, der Nahe Osten erlebt eine historische Zäsur. Und wie in jedem Anfang liegt auch hier eine große Chance begründet.

Arafats Rolle in der Geschichte, seine Verdienste und seine Schandtaten, sein Leben als Freiheitskämpfer und als Terrorist - all dies wurde in den Tagen des Todeskampfes beschrieben und gewürdigt. Nun ist es an der Zeit, nach vorne zu schauen. Den besten Beleg für den Beginn einer neuen Zeitrechnung haben die Palästinenser selbst gegeben.

Die Organisation des Übergangs, die Intensität der Diskussion unter den politischen und militanten Fraktionen in den vergangenen Tagen - all dies gibt zunächst Anlass zur Hoffnung. Arafats Tod könnte sich für seine Bürger mehr als eine politische Befreiung denn als eine Last erweisen. Diese neue Freiheit gilt es nun zu nutzen, auch wenn der Übergang von der alten Garde bestimmt wird.

Der Nahost-Konflikt hat im Ringen der islamischen Welt mit dem Westen eine zentrale Bedeutung. Der islamistische Terror bedient sich dieses Konflikts immer wieder, um seine Taten zu rechtfertigen. Die ideologische Aufheizung ist am ehesten an der Grenzlinie zwischen Israel und seinen Nachbarn zu begreifen. Wer also den Konflikt der muslimischen Welt mit dem Westen langfristig lösen will, der muss in Palästina beginnen.

Einem solchen Anfang stand Arafat am Ende im Weg. Er war nicht mehr der Mann, der eine konstruktive, eine politische und deeskalierende Lösung hätte befördern können. Er schleppte zu viel historischen Ballast mit sich herum und war verstrickt in zu viele Abhängigkeiten. Arafats Erstarrung war von zentraler Bedeutung dafür, dass der gesamte Nahost-Konflikt statisch wurde, ein betoniertes Problem.

Politischer Niedergang

Nichts zeigt diesen Zustand besser als der Sperrwall, der das Westjordanland nun von Israel trennen soll. Israels Strategiewechsel weg vom Verhandlungstisch und hin zur Abgrenzung war vielleicht unpolitisch, rückwärts gewandt und sicherlich eine Provokation erster Güte. Aber sie beschleunigte Arafats politischen Niedergang.

Nach Arafats Tod müssen all diese Strategien überprüft werden. Die USA als klassische Ordnungsmacht der Region müssen ihr bis ins Marginale geschrumpftes Engagement wieder beleben. Jede neue, dem Terror abgewandte und halbwegs demokratisch legitimierte Führungsfigur auf Seiten der Palästinenser wird ein Pflicht-Gesprächspartner für Washington sein.

Diese neue Führungsfigur wird auch umso schneller an Statur gewinnen, je deutlicher der Aufbruch und die Zuversicht mit ihr verbunden wird und je mehr internationalen Zuspruch sie erhält.

Von entscheidender Bedeutung aber ist nun die Politik Ariel Scharons. Der israelische Ministerpräsident hat die Erstarrung befördert, auch er wollte den politischen Stillstand. Jetzt ist der alte Gegenspieler tot, Scharon verliert seine Fixierung, das vielleicht wichtigste Motiv für seine Politik. Man wird auch ihn unter Druck setzen müssen, um die Erstarrung in Nahost aufzulösen.

© SZ vom 12.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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