Kolumne:Die Katastrophe von Kaprun

Lesezeit: 2 min

Unsere Autorin erinnert sich an das Unglück der Standseilbahn vor 20 Jahren, für das niemand zur Verantwortung gezogen wurde.

Von Valentina Resetarits

Wissen Sie noch, was Sie am 11. November 2000 gemacht haben?

Ich war damals zwar erst zwölf Jahre alt, aber weiß es trotzdem ganz genau. Wie wahrscheinlich jeder in meiner Heimatstadt Güssing im Süden des Burgenlands. Zu Mittag haben wir bei meiner Oma das traditionelle Martinigansl gegessen, dann fuhren wir mit dem Auto nach Hause. Und im Radio kam die Meldung, dass im Salzburger Skiort Kaprun eine Standseilbahn im Tunnel brennt. "Ich habe ein komisches Gefühl", sagte meine Mutter. Sie holte ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer ihrer Freundin Claudia. "Ihr Sohn Niko ist in Kaprun beim Snowboarden."

Aber Claudia hob nicht ab. Die ungute Vorahnung meiner Mutter sollte bald traurige Gewissheit werden. Niko gehörte zu den vier Schülern meines Gymnasiums, die beim Seilbahnunglück am Kitzsteinhorn ums Leben kamen. Mit ihm starben 154 Menschen aus Österreich, Deutschland und sechs weiteren Ländern. Nur zwei Geschwister von der Snowboard-Mannschaft meiner Heimat haben die Katastrophe überlebt. Die spätere Olympiasiegerin im Parallel-Slalom, Julia Dujmovits, und ihr Bruder; die beiden standen schon in der Schlange für die Standseilbahn, fuhren aber dann doch mit der Gondel auf den Berg.

In den Tagen und Wochen nach dem Unglück legte sich ein grauer Schleier über unseren 4000-Einwohner-Ort. Wir besuchten Gedenkmessen, gingen auf Begräbnisse, nahmen Abschied von Freunden und Bekannten, die kaum älter waren als ich. Wenn ich mich zurückerinnere, stelle ich fest, dass ich da zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert wurde. Mit der traurigen Wahrheit, dass nicht nur Großeltern im hohen Alter sterben, sondern dass manchmal junge Menschen aus dem Leben gerissen werden.

In dieser Woche jährte sich die Brandkatastrophe von Kaprun zum zwanzigsten Mal. Meine Kollegin Leila Al-Serori hat darüber mit dem Buchautor Hannes Uhl gesprochen. Er macht der Justiz schwere Vorwürfe: "Die Republik Österreich ist im Fall Kaprun an der Wahrheitsfindung gescheitert." Für den Brand ist nie jemand zur Verantwortung gezogen worden - laut Uhl auch deshalb, weil Österreich sich um sein Image als Tourismusland gesorgt habe. "Ähnliches haben wir ja in Ischgl erlebt", sagt er und zieht Parallelen zur Corona-Pandemie.

Womit wir im Hier und Jetzt wären. Seit dem teilweisen Lockdown, der seit Anfang November in Kraft ist, stehen unter anderem die Skilifte im Land still. Und, so wie sich die Zahlen entwickeln, werden sie wohl auf absehbare Zeit ihren Betrieb nicht wieder aufnehmen. Denn die Infektionszahlen sind weiter sehr hoch. Die 7-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen in den abgelaufenen sieben Tagen, liegt derzeit in Österreich bei 554 je 100.000 Einwohner; zum Vergleich: In Deutschland beträgt dieser Wert derzeit 158. An diesem Samstag ist in Wien eine Pressekonferenz der Bundesregierung geplant, bei der weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verkündet werden sollen.

Diese Kolumne ist zuerst am 13. November 2020 im Österreich-Newsletter erschienen.

© SZ vom 14.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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