"Kollektivzwang"-Eklat:Schönbohm entschuldigt sich nach Merkel-Schelte

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Nach Kritik von allen Seiten hat Brandenburgs Innenminister seine umstrittene Äußerungen im Zusammenhang mit den Baby-Tötungen bedauert. Er wollte nur aufrütteln, sagte er.

Trotz massiver Kritik an Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) will Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) an ihm in Potsdams rot-schwarzer Koalition festhalten.

"Einen Fehler hat jeder frei", sagte Platzeck der in Halle erscheinenden Mitteldeutschen Zeitung mit Blick auf Schönbohms jüngste Erklärungsversuche zu Gewaltbereitschaft und Werteverlust in Ostdeutschland.

Auslöser der Debatte ist die Tötung von neun Säuglingen, die am vergangenen Sonntag in Brieskow-Finkenheerd (Oder-Spree) entdeckt worden waren. Als Täterin steht die 39-jährige Mutter unter Verdacht.

Weder Nachbarn noch Familienangehörige wollen von den Taten etwas bemerkt haben. Schönbohm hatte in einem Tagesspiegel-Interview die "erzwungene Proletarisierung" zu DDR-Zeiten als eine Hauptursache für Verwahrlosung und Gewalt in Ostdeutschland genannt.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel wies Schönbohm (CDU) in die Schranken. "Ein solch furchtbares Verbrechen kann und darf man nicht mit pauschalen Einschätzungen dieser Art erklären", sagte Merkel. "Ich habe mit Jörg Schönbohm gesprochen und erwarte, dass er so schnell wie möglich diese Diskussion beendet."

Schönbohm wollte aufrütteln, sagt er

In der Bild-Zeitung räumte Schönbohm unterdessen ein: "Ja, ich weiß, dass ich viele Menschen nicht nur gekränkt, sondern auch verletzt habe. Das war überhaupt nicht meine Absicht. Dafür entschuldige ich mich ausdrücklich." Er habe aufrütteln wollen. "Dieses Thema eignet sich nicht für den Wahlkampf."

Zuvor hatten etliche Politiker von Schönbohm eine Entschuldigung verlangt, darunter der SPD-Bundesvorsitzende Franz Müntefering, FDP-Chef Guido Westerwelle und der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Eckhardt Rehberg.

Der heftige Streit über Schönbohms Äußerungen hielt derweil unvermindert an. Politiker wie Wissenschaftler wiesen seine Thesen scharf zurück. Er halte absolut nichts von einfachen Erklärungen und persönlichen Schuldzuweisungen nach dem Motto "Die DDR ist die Wurzel allen Übels", sagte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse der Berliner Zeitung. Vielmehr sei eine differenzierte Debatte über Ursachen für soziale und moralische Entwurzelung notwendig.

Gewerkschaft der Polizei nennt Äußerungen "unfassbar"

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) bemerkte im Fernsehsender N24: "Da ist etwas daneben gegangen und das muss richtig gestellt werden." Mit der Kollektivierung zu DDR-Zeiten seien keine aktuellen Gewaltverbrechen zu erklären. Brandenburgs CDU-Generalsekretär Sven Petke nannte Rücktrittsforderungen wie die der stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden Cornelia Pieper "absurd".

Schönbohm sei einer der erfolgreichsten Innenminister Deutschlands. Pieper zufolge wäre Schönbohm in einer künftigen Bundesregierung aus Union und FDP nicht akzeptabel.

In dpa-Gesprächen wiesen auch der Jenaer Soziologe Bruno Hildenbrand und Hallenser Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz Schönbohms Darstellung zurück. "Die DDR ist nicht homogen als eine wertelose proletarische Gesellschaft zu betrachten", stellte Hildenbrand fest.

Der Vorsitzende der brandenburgischen Bündnisgrünen, Joachim Gessinger, warf Schönbohm einen Missbrauch der "Tragödie von Brieskow-Finkenheerd" zu Wahlkampfzwecken vor. Dessen Äußerungen seien "verantwortungslos und sachlich abwegig".

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Brandenburg sprach von einem "erschreckenden Denkmuster des Innenministers". Dessen Äußerungen seien "unfassbar". "Schönbohm bedient damit lediglich alle Klischees von verwahrlosten und gewaltbereiten Ossis."

Von Seiten der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) hieß es: "Er hat Deutschland zutiefst erneut gespalten und er hat den ganz überwiegenden Teil derjenigen beleidigt, deren Dienstherr er ist."

Die brandenburgische CDU-Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche merkte an, bei der Kindstötung handle es sich um einen "Zivilisationsbruch", der sich überall ereignen könne. Zu den Ursachen zählten Alkoholismus, Werte- und Sittenverfall.

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