Kofi Annan:Deutliche Kritik am Irak-Krieg

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Der UN-Generalsekretär hat in einer Grundsatzrede Stellung gegen die Erstschlagdoktrin der USA bezogen. Dazu folgende Wortlautauszüge aus seiner Ansprache an die 58. UN-Vollversammlung in New York:

"Seit Gründung dieser Organisation haben Länder generell versucht, Bedrohungen für den Frieden durch Eindämmung und Abschreckung unter Kontrolle zu bekommen, mit der Sicherheit für alle und der Charta der Vereinten Nationen im Blick.

Nach Artikel 51 der Charta haben Länder, die angegriffen werden, automatisch das Recht auf Selbstverteidigung. Aber bisher galt es als selbstverständlich, dass Staaten für alle weiteren Maßnahmen und zur Verteidigung des internationalen Friedens und der Sicherheit die einzigartige Legitimation des Sicherheitsrates brauchen.

Jetzt sagen einige, dass diese Übereinkunft nicht länger haltbar ist, weil ein Angriff mit Massenvernichtungswaffen jederzeit ohne Vorwarnung und durch eine unbekannte (Terror-)Gruppe zu befürchten sei. Statt auf einen solchen Angriff zu warten, meinen sie, dass jeder Staat das Recht und die Verpflichtung hat, einen Erstschlag zu auszuüben, selbst auf fremdem Boden und in einer Phase, in der die gefürchteten Waffen erst noch entwickelt werden.

Nach diesem Verständnis müssen Länder nicht mehr auf eine Übereinkunft im Sicherheitsrat warten, sondern nehmen sich das Recht, unilateral oder in Ad-hoc-Koalitionen zuzuschlagen.

Diese Logik ist ein fundamentaler Bruch mit den Prinzip, das, wenn auch nicht ohne Fehler, in den vergangenen 58 Jahren für Frieden und Stabilität gesorgt haben.

Meine Sorge ist, dass diese Logik zur Ausbreitung einer einseitigen und gesetzlosen Anwendung von Gewalt führen könnte, egal ob mit oder ohne hinreichende Rechtfertigung.

Aber das Anprangern des Unilateralismus allein erreicht nichts, solange wir uns nicht gleichzeitig um jene Probleme kümmern, denen sich einige Mitgliedstaaten besonders ausgesetzt fühlen und die sie zu einseitigen Aktionen treiben. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir uns ihrer Sorgen gemeinsam annehmen können und werden.

Exzellenzen, wir sind an einem Scheideweg angelangt. Dieser Moment könnte genauso bedeutend sein für die Vereinten Nationen wie der Zeitpunkt ihrer Gründung 1945...

In meinem jüngsten Bericht über die Umsetzung der Millenniums-Erklärung (von 2000) habe ich darauf hingewiesen, dass der Sicherheitsrat dringend das Vertrauen der (UN-Mitglieds-)Länder und der gesamten Welt zurückgewinnen muss. Dabei geht es einmal um seine Fähigkeit, wirksame Lösungen für die schwierigsten Fragen zu finden, und zweitens um die breitere Repräsentanz der Weltgemeinschaft und der geopolitischen Realitäten von heute.

Der Sicherheitsrat muss entscheiden, wie er damit umgehen will, dass individuelle Staaten präventive Gewalt gegen empfundene Bedrohungen anwenden könnten...

Über die Zusammensetzung des Sicherheitsrates ist schon mehr als ein Jahrzehnt in der Vollversammlung diskutiert worden. Praktisch alle Staaten stimmen überein, dass der Rat vergrößert werden muss. Doch zu den Einzelheiten gibt es bisher keine Übereinstimmung...

Terrorismus ist ein Problem, das nicht nur reiche Länder betrifft. Das können die Menschen auf Bali, in Bombay, Nairobi oder Casablanca bestätigen.

Massenvernichtungswaffen bedrohen nicht allein den Westen oder den Norden. Dem werden auch die Menschen in Iran oder in Halabdscha im Irak zustimmen. Worin wir uns unterscheiden, ist aber offensichtlich unsere Reaktion auf diese Bedrohungen."

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