Köthen in Sachsen-Anhalt:Trauern und hetzen

Lesezeit: 2 min

Am Sonntag gedachten Demonstranten des verstorbenen Mannes auf dem Spielplatz in Köthen, wo es am Samstag zum Streit gekommen war. (Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

Nach dem Tod eines Mannes demonstrieren am Sonntag 2500 Menschen, unter ihnen Hunderte Rechte. Auch am Montag wird demonstriert. Einer der Tatverdächtigen hätte abgeschoben werden sollen.

Von Veronika Wulf, Berlin

Nach einem sogenannten Trauermarsch am Sonntagabend in Köthen ermittelt die Polizei gegen Demonstranten. Rund 2500 Menschen sind in der Stadt in Sachsen-Anhalt auf die Straße gegangen, weil ein 22-jähriger Mann am Tag zuvor nach einem Streit mit zwei Afghanen ums Leben gekommen war. Nun liegen der Polizei zehn Anzeigen wegen Beleidigung, Volksverhetzung, Verstößen gegen das Versammlungsrecht sowie einer einfachen Körperverletzung gegen einen Pressevertreter vor. Das sagte Sachsen-Anhalts Landespolizeidirektorin Christiane Bergmann bei einer Pressekonferenz am Montag im Landesinnenministerium in Magdeburg.

Zu einem weiteren "Trauermarsch" in Köthen am Montagabend, den ein AfD-Landtagsabgeordneter angemeldet hatte, versammelten sich laut Polizei bis zu 550 Menschen. Sie zogen durch die Innenstadt zu dem Spielplatz, wo sich der Streit ereignet hatte. Dort wurde ein Kranz der AfD Sachsen-Anhalt im Gedenken an den Verstorbenen niedergelegt. Zu den Teilnehmern zählten auch AfD-Landtagsfraktionschef Oliver Kirchner und Ex-Landeschef André Poggenburg. Nach Angaben von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) waren mehrere Hundert Polizeibeamte vor Ort. Laut Polizei verlief der Aufzug "weitgehend störungsfrei".

Der Tod des jungen Mannes in Köthen hatte bundesweit für Empörung gesorgt, weil viele Bürger, nicht zuletzt in den sozialen Medien, Parallelen zu dem Fall in Chemnitz zogen. Dort war ein Deutsch-Kubaner vor zwei Wochen erstochen worden; zwei Asylbewerber sitzen in Untersuchungshaft, nach einem dritten Verdächtigen wird international gefahndet. Etliche Bürger hatten daraufhin demonstriert, Neonazis und Hooligans waren aufmarschiert. Chemnitzer Verhältnisse wollte man in Köthen verhindern. Deshalb rief Landesinnenminister Holger Stahlknecht wiederholt zu Besonnenheit auf. Am Montag sagte er in Magdeburg, er habe Verständnis für die Betroffenheit der Menschen. Man dürfe nicht jeden unter Generalverdacht stellen, rechtsradikal zu sein. Zugleich werde alles getan, damit "Betroffenheit auch Betroffenheit bleibt". In den sozialen Medien würden oft schnelle Urteil gefällt.

Stahlknecht zufolge waren unter den Teilnehmern des Trauermarschs am Sonntag "400 bis 500 Personen der rechten Szene". Auch David Köckert, der Chef der rechtsradikalen Thügida-Bewegung, war in Köthen. Keine 24 Stunden nach dem Tod des 22-jährigen Markus B. wetterte er in einer Rede gegen ein vermeintliches "Abschlachten des deutschen Volkes" und sprach von einem "Rassenkrieg gegen das deutsche Volk".

Nicht nur die Politik kritisiert, dass der Todesfall durch Rechte instrumentalisiert wird. "Ein Mann stirbt in Köthen nach einem Streit, und Tausende Rechtsradikale nutzen den Fall für Propaganda", sagte Caritas-Präsident Peter Neher am Montag in Berlin. Einzelheiten zu dem Geschehen auf dem Spielplatz gaben die Ermittler nicht bekannt. Der Zeitung Volksstimme zufolge hat sich Markus B. in eine Auseinandersetzung zwischen den Afghanen eingemischt und versucht, zu schlichten. Die Polizei hatte noch in der Nacht zu Sonntag zwei Verdächtige im Alter von 18 und 20 wegen des Anfangsverdachts eines Tötungsdelikts festgenommen. Inzwischen schließen die Ermittler aus, dass Markus B. durch Tritte oder Schläge gegen den Kopf umgekommen ist. "Wir haben keine todesursächlichen Körperverletzungen feststellen können", sagte Horst Nopens, leitender Oberstaatsanwalt aus Dessau-Roßlau am Montag. B. sei sehr wahrscheinlich einem Herzinfarkt erlegen, sagte Keding.

Einer der beiden Tatverdächtigen hätte eigentlich schon vor Monaten abgeschoben werden sollen. Ein entsprechender Antrag des Landkreises Anhalt-Bitterfeld auf Zustimmung habe die Staatsanwaltschaft zunächst aber abgelehnt, weil gegen den Afghanen wegen einer Körperverletzung sowie zwei kleinerer Delikte ermittelt wurde. Einem zweiten Antrag des Kreises habe die Staatsanwaltschaft am vergangenen Donnerstag zugestimmt - zwei Tage vor der Tat. "Wir hätten ihn am Freitag nicht abschieben können", sagte Stahlknecht. "Das kriegen Sie bei aller Liebe auch nicht hin." Er sehe keine Versäumnisse der Behörden, sagte Stahlknecht außerdem auf Nachfrage. "Ich gehe mal davon aus, dass der Staatsanwalt die richtige Entscheidung getroffen hat."

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: